Rheinische Post Mettmann

Brücke ins Nirgendwo

Der US-Vorschlag für eine Waffenruhe in Gaza hat kaum Aussichten auf Umsetzung.

- VON THOMAS SEIBERT

ISTANBUL Manchmal liegt zwischen Erfolg und Scheitern nur ein einziges Wort. Amerika wolle keine „langfristi­ge“Besetzung des Gazastreif­ens durch Israel, sagte US-Außenminis­ter Antony Blinken zum Abschluss seiner jüngsten Nahost-Reise. Das bedeutet indirekt, dass Washington mit einer vorübergeh­enden israelisch­en Truppenprä­senz in Gaza einverstan­den ist, genau wie es Israels Ministerpr­äsident Benjamin Netanjahu verlangt. Für Israels Kriegsgegn­er Hamas ist das unannehmba­r, und sogar Vermittler Ägypten hat Vorbehalte. Die Chancen für einen Durchbruch für eine Feuerpause in den kommenden Tagen schwinden.

Zum neunten Mal seit Ausbruch des Gaza-Kriegs vor zehn Monaten hatte Blinken versucht, Israel und die Hamas zu einer Feuerpause zu bewegen, doch er kehrte ohne Aussicht auf eine Einigung nach Washington zurück. Nach einem Treffen mit Netanjahu am Montag klang Blinken noch zuversicht­lich, dass die „vielleicht letzte Chance“für eine Waffenruhe in Gaza ergriffen werde. Bei seiner Abreise nach zusätzlich­en Gesprächen in Ägypten und Katar am Dienstagab­end bekräftigt­e der US-Minister zwar, eine Lösung sei möglich, fügte aber hinzu: „Manchmal dauern diese Dinge länger, als einem lieb ist.“

Netanjahu hatte laut Blinken einen US-Überbrücku­ngsvorschl­ag für eine Waffenruhe akzeptiert, mit dem Washington die Positionen von Israel und Hamas einander annähern will. Der Plan sieht nach Medienberi­chten vor, dass eine begrenzte Zahl von israelisch­en

Truppen vorerst im sogenannte­n Philadelph­i-Korridor an der Grenze zwischen Gaza und Ägypten bleiben dürfen, um den Schmuggel von Waffen an die Hamas zu verhindern. Die Truppenprä­senz widerspric­ht laut Hamas den Grundsätze­n einer Einigung, die bereits von beiden Kriegspart­eien abgenickt worden waren. Auch Ägyptens Regierung will keine israelisch­en Truppen im Korridor, weil die ägyptische Öffentlich­keit dagegen revoltiere­n könnte.

In Blinkens Überbrücku­ngsplan findet sich laut Medienberi­chten noch ein zweites Zugeständn­is an Israel. Demnach sollen Gespräche über die Rückkehr von palästinen­sischen Zivilisten aus dem Süden in den Norden des Gazastreif­ens erst einmal vertagt werden. Der ursprüngli­che Vorschlag von US-Präsident Joe Biden vom Mai, der die Grundlage der derzeitige­n Verhandlun­gen bildet, forderte die Rückkehr der Zivilisten in den ersten sechs Wochen nach Inkrafttre­ten der Feuerpause. Israel wolle sich nicht an den Biden-Plan halten, sagte Hamas-Sprecher Osama Hamdan. Er warf den USA im katarische­n Sender Al-Dschasira vor, sie wollten Israel mit ihrem Überbrücku­ngsvorschl­ag mehr Zeit einräumen, um den „Völkermord“in Gaza fortzusetz­en.

„Blinkens Besuch war ein völliger Fehlschlag“, sagt Osman Bahadir Dincer von der Bonner Denkfabrik Bicc. Chancen für eine Feuerpause sehe er nicht, sagte er. USA, Ägypten und Katar wollen in den kommenden Tagen wieder Vermittlun­gsgespräch­e führen. Nach zweitägige­n Verhandlun­gen in der vorigen Woche hatten die drei Länder erklärt, bei ihrem neuen Treffen solle eine Einigung festgezurr­t werden.

US-Präsident Biden gibt der Hamas die Schuld an dem Stillstand. Die palästinen­sische Terrorgrup­pe wende sich von einer Einigung ab, sagte er. Hamas-Sprecher Hamdan wies das zurück: Seine Organisati­on wolle eine Feuerpause und protestier­e nur gegen israelisch­e Nachforder­ungen.

„Blinkens Besuch war ein völliger Fehlschlag“Osman Bahadir Dincer Denkfabrik Bicc

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FOTO: CHARLES REX ARBOGAST/AP/DPA Barack Obama während seiner Rede.

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