Brücke ins Nirgendwo
Der US-Vorschlag für eine Waffenruhe in Gaza hat kaum Aussichten auf Umsetzung.
ISTANBUL Manchmal liegt zwischen Erfolg und Scheitern nur ein einziges Wort. Amerika wolle keine „langfristige“Besetzung des Gazastreifens durch Israel, sagte US-Außenminister Antony Blinken zum Abschluss seiner jüngsten Nahost-Reise. Das bedeutet indirekt, dass Washington mit einer vorübergehenden israelischen Truppenpräsenz in Gaza einverstanden ist, genau wie es Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu verlangt. Für Israels Kriegsgegner Hamas ist das unannehmbar, und sogar Vermittler Ägypten hat Vorbehalte. Die Chancen für einen Durchbruch für eine Feuerpause in den kommenden Tagen schwinden.
Zum neunten Mal seit Ausbruch des Gaza-Kriegs vor zehn Monaten hatte Blinken versucht, Israel und die Hamas zu einer Feuerpause zu bewegen, doch er kehrte ohne Aussicht auf eine Einigung nach Washington zurück. Nach einem Treffen mit Netanjahu am Montag klang Blinken noch zuversichtlich, dass die „vielleicht letzte Chance“für eine Waffenruhe in Gaza ergriffen werde. Bei seiner Abreise nach zusätzlichen Gesprächen in Ägypten und Katar am Dienstagabend bekräftigte der US-Minister zwar, eine Lösung sei möglich, fügte aber hinzu: „Manchmal dauern diese Dinge länger, als einem lieb ist.“
Netanjahu hatte laut Blinken einen US-Überbrückungsvorschlag für eine Waffenruhe akzeptiert, mit dem Washington die Positionen von Israel und Hamas einander annähern will. Der Plan sieht nach Medienberichten vor, dass eine begrenzte Zahl von israelischen
Truppen vorerst im sogenannten Philadelphi-Korridor an der Grenze zwischen Gaza und Ägypten bleiben dürfen, um den Schmuggel von Waffen an die Hamas zu verhindern. Die Truppenpräsenz widerspricht laut Hamas den Grundsätzen einer Einigung, die bereits von beiden Kriegsparteien abgenickt worden waren. Auch Ägyptens Regierung will keine israelischen Truppen im Korridor, weil die ägyptische Öffentlichkeit dagegen revoltieren könnte.
In Blinkens Überbrückungsplan findet sich laut Medienberichten noch ein zweites Zugeständnis an Israel. Demnach sollen Gespräche über die Rückkehr von palästinensischen Zivilisten aus dem Süden in den Norden des Gazastreifens erst einmal vertagt werden. Der ursprüngliche Vorschlag von US-Präsident Joe Biden vom Mai, der die Grundlage der derzeitigen Verhandlungen bildet, forderte die Rückkehr der Zivilisten in den ersten sechs Wochen nach Inkrafttreten der Feuerpause. Israel wolle sich nicht an den Biden-Plan halten, sagte Hamas-Sprecher Osama Hamdan. Er warf den USA im katarischen Sender Al-Dschasira vor, sie wollten Israel mit ihrem Überbrückungsvorschlag mehr Zeit einräumen, um den „Völkermord“in Gaza fortzusetzen.
„Blinkens Besuch war ein völliger Fehlschlag“, sagt Osman Bahadir Dincer von der Bonner Denkfabrik Bicc. Chancen für eine Feuerpause sehe er nicht, sagte er. USA, Ägypten und Katar wollen in den kommenden Tagen wieder Vermittlungsgespräche führen. Nach zweitägigen Verhandlungen in der vorigen Woche hatten die drei Länder erklärt, bei ihrem neuen Treffen solle eine Einigung festgezurrt werden.
US-Präsident Biden gibt der Hamas die Schuld an dem Stillstand. Die palästinensische Terrorgruppe wende sich von einer Einigung ab, sagte er. Hamas-Sprecher Hamdan wies das zurück: Seine Organisation wolle eine Feuerpause und protestiere nur gegen israelische Nachforderungen.
„Blinkens Besuch war ein völliger Fehlschlag“Osman Bahadir Dincer Denkfabrik Bicc