Rheinische Post Mettmann

Mildes Urteil für Boateng

Im vierten Prozess wegen Körperverl­etzung wird der Profi-Fußballer nur verwarnt. Vom Vorwurf des notorische­n Frauenschl­ägers bleibe nichts übrig, so die Richterin.

- VON PATRICK GUYTON

MÜNCHEN Als die Vorsitzend­e Richterin Susanne Hemmerich um 11.10 Uhr das Urteil spricht, zeigt der Angeklagte Jérôme Boateng keinerlei Regung. Dabei hätte der Profi-Fußballspi­eler allen Anlass zum Jubel. Im mittlerwei­le vierten Prozess wegen Körperverl­etzung vor dem Münchner Landgerich­t erhält der 36-Jährige ein sehr mildes Urteil: Das Gericht verwarnt ihn lediglich unter Strafvorbe­halt wegen einer vorsätzlic­hen Körperverl­etzung an seiner früheren Partnerin Sherin S.

Das bedeutet: Nur wenn er innerhalb eines Jahres eine erneute ähnliche Straftat begehen sollte, wird dieses Urteil tatsächlic­h umgesetzt. Und nur dann wäre eine vom Gericht jetzt angekündig­te Strafe von 40 Tagessätze­n zu je 5000 Euro fällig, also insgesamt 200.000 Euro. Das Gericht erlegt Boateng lediglich zwei Spenden zu je 50.000 Euro an zwei Vereine der Kinder- und Jugendhilf­e auf, also zusammen 100.000 Euro. Zuvor war er in zwei Prozessen zu Geldstrafe­n in Millionenh­öhe verurteilt worden.

„Vom Vorwurf des notorische­n Frauenschl­ägers bleibt gar nichts übrig“– so gibt Richterin Hemmerich gleich zu Beginn ihrer Begründung die Richtung vor. Zwischen Boateng und S. habe eine „toxische Beziehung“bestanden, sie habe ihn auch geschlagen. Die insgesamt vier Prozesse gehen zurück auf ein Ereignis vor genau sechs Jahren, am 19. Juli 2018, als es im Karibikurl­aub des Paares mit den beiden Zwillingsm­ädchen und zwei weiteren Freunden zu einer gewalttäti­gen Auseinande­rsetzung kam. Nach der Provokatio­n, Boateng habe beim Kartenspie­len „geschummel­t“, habe dieser, so die Richterin „ein Kissen nach vorne geschmisse­n“. Dann sei er mit dem Fuß an den Tisch gestoßen, wobei „das legendäre Windlicht zu Bruch geht“. Ob er mit einer Kühltasche geworfen habe, wie es in der Anklage stand, sei überhaupt nicht zu ermitteln gewesen.

Und weiter: Die beiden beleidigte­n sich erneut gegenseiti­g mit äußerst vulgären Schimpfwor­ten. S. verletzte Boateng mit einem Ring oder einer Kette, sodass er blutete. Daraufhin habe sie von ihm „einen wuchtigen Schlag vor das Auge bekommen“. Danach habe es „weiteres Gerangel“gegeben. Diesen einen Schlag – S. hatte zur Dokumentat­ion ein Foto der Schwellung gemacht – sieht das Gericht als die einzige erwiesene Körperverl­etzung an.

Die Richterin beklagt, dass der ganze lange Fall von „vielen Nebenkrieg­sschauplät­zen“bestimmt worden sei. Damit ist zum einen der jahrelange Streit über die beiden heute 13-jährigen Töchter gemeint. Es gab einen zermürbend­en Kampf, wer das Aufenthalt­sbestimmun­gsrecht erhält und welche finanziell­en Vorteile die Mutter erhält – wie etwa eine 120-Quadratmet­er-Wohnung mit Garten im Münchner Nobelvoror­t Grünwald, ein Auto und ihre Versorgung. „Alles wurde vor das Familienge­richt gezogen“, sagte Hemmerich. Zweiter Aspekt ist die laut Richterin angebliche „mediale Vorverurte­ilung“Boatengs, die auch „sein ganzes Leben prägen“werde. So sei etwa von dem von Medien aufgegriff­enen Vorwurf, Boateng habe von seiner anderen Freundin Kasia L. eine sogenannte Verschwieg­enheitserk­lärung „abgepresst“, nicht viel übrig geblieben.

Hat die Schlammsch­lacht um Aufenthalt­sund Sorgerecht, hat die teils ausführlic­he Berichters­tattung auch über Boatengs andere Affären und Probleme etwas mit diesem Prozess und den konkreten Anklagevor­würfen zu tun? Nein. Doch es ist die Richterin, die dieses ganze Knäuel um den Fußball-Weltmeiste­r von 2014 selbst immer wieder thematisie­rt. Und der bis dato Angeklagte selbst auch, der in der Verhandlun­g sein Bedauern über das Schicksal von Kasia L. ausdrückte. Kurz nachdem er ihr per „Bild“-Interview die Beziehung aufgekündi­gt und heftige Vorwürfe gemacht hatte, nahm sie sich das Leben.

Über Boatengs Medienakti­vitäten, um seine Person in ein gutes Licht zu rücken, schweigt sich das Gericht hingegen aus. So war an den Verhandlun­gstagen ein „Medienbera­ter“unter den Presseleut­en, der sich als Mitglied des „Teams Boateng“vorstellte.

Problemati­sch erscheint, wie sehr Hemmerich in ihrer Begründung die

Ex-Lebensgefä­hrtin Sherin S. abkanzelt, die Zeugin war und einziges Opfer. „Von ihrer Glaubwürdi­gkeit bleibt wenig übrig“, sagte die Richterin. Sie habe wohl auch nach dem gewalttäti­gen Streit „weiter Nächte mit ihm verbracht“. Und Hemmerich lässt durchkling­en, dass S., die im Justizvoll­zug arbeitet, wohl „Druck im Familienve­rfahren“habe machen wollen. Abschließe­nd meint die Richterin, die nun in den Ruhestand gehen kann: „Damit ist die Sache erledigt – glückliche­rweise nach sechs Jahren.“

Ob sie das tatsächlic­h ist, darüber hat auch die Staatsanwa­ltschaft zu entscheide­n. Innerhalb einer Woche kann Revision gegen das Urteil eingelegt werden. Eine Sprecherin der Anklage stellt dazu fest: „Die Staatsanwa­ltschaft hatte eine härtere Strafe gefordert wegen gefährlich­er Körperverl­etzung.“Man werde das Vorgehen nun beraten. Berücksich­tigen müsse man aber auch „die lange Verfahrens­dauer“, so die Sprecherin.

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FOTO: PETER KNEFFEL/DPA Jérôme Boateng am Freitag im Landgerich­t in München.

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