Mildes Urteil für Boateng
Im vierten Prozess wegen Körperverletzung wird der Profi-Fußballer nur verwarnt. Vom Vorwurf des notorischen Frauenschlägers bleibe nichts übrig, so die Richterin.
MÜNCHEN Als die Vorsitzende Richterin Susanne Hemmerich um 11.10 Uhr das Urteil spricht, zeigt der Angeklagte Jérôme Boateng keinerlei Regung. Dabei hätte der Profi-Fußballspieler allen Anlass zum Jubel. Im mittlerweile vierten Prozess wegen Körperverletzung vor dem Münchner Landgericht erhält der 36-Jährige ein sehr mildes Urteil: Das Gericht verwarnt ihn lediglich unter Strafvorbehalt wegen einer vorsätzlichen Körperverletzung an seiner früheren Partnerin Sherin S.
Das bedeutet: Nur wenn er innerhalb eines Jahres eine erneute ähnliche Straftat begehen sollte, wird dieses Urteil tatsächlich umgesetzt. Und nur dann wäre eine vom Gericht jetzt angekündigte Strafe von 40 Tagessätzen zu je 5000 Euro fällig, also insgesamt 200.000 Euro. Das Gericht erlegt Boateng lediglich zwei Spenden zu je 50.000 Euro an zwei Vereine der Kinder- und Jugendhilfe auf, also zusammen 100.000 Euro. Zuvor war er in zwei Prozessen zu Geldstrafen in Millionenhöhe verurteilt worden.
„Vom Vorwurf des notorischen Frauenschlägers bleibt gar nichts übrig“– so gibt Richterin Hemmerich gleich zu Beginn ihrer Begründung die Richtung vor. Zwischen Boateng und S. habe eine „toxische Beziehung“bestanden, sie habe ihn auch geschlagen. Die insgesamt vier Prozesse gehen zurück auf ein Ereignis vor genau sechs Jahren, am 19. Juli 2018, als es im Karibikurlaub des Paares mit den beiden Zwillingsmädchen und zwei weiteren Freunden zu einer gewalttätigen Auseinandersetzung kam. Nach der Provokation, Boateng habe beim Kartenspielen „geschummelt“, habe dieser, so die Richterin „ein Kissen nach vorne geschmissen“. Dann sei er mit dem Fuß an den Tisch gestoßen, wobei „das legendäre Windlicht zu Bruch geht“. Ob er mit einer Kühltasche geworfen habe, wie es in der Anklage stand, sei überhaupt nicht zu ermitteln gewesen.
Und weiter: Die beiden beleidigten sich erneut gegenseitig mit äußerst vulgären Schimpfworten. S. verletzte Boateng mit einem Ring oder einer Kette, sodass er blutete. Daraufhin habe sie von ihm „einen wuchtigen Schlag vor das Auge bekommen“. Danach habe es „weiteres Gerangel“gegeben. Diesen einen Schlag – S. hatte zur Dokumentation ein Foto der Schwellung gemacht – sieht das Gericht als die einzige erwiesene Körperverletzung an.
Die Richterin beklagt, dass der ganze lange Fall von „vielen Nebenkriegsschauplätzen“bestimmt worden sei. Damit ist zum einen der jahrelange Streit über die beiden heute 13-jährigen Töchter gemeint. Es gab einen zermürbenden Kampf, wer das Aufenthaltsbestimmungsrecht erhält und welche finanziellen Vorteile die Mutter erhält – wie etwa eine 120-Quadratmeter-Wohnung mit Garten im Münchner Nobelvorort Grünwald, ein Auto und ihre Versorgung. „Alles wurde vor das Familiengericht gezogen“, sagte Hemmerich. Zweiter Aspekt ist die laut Richterin angebliche „mediale Vorverurteilung“Boatengs, die auch „sein ganzes Leben prägen“werde. So sei etwa von dem von Medien aufgegriffenen Vorwurf, Boateng habe von seiner anderen Freundin Kasia L. eine sogenannte Verschwiegenheitserklärung „abgepresst“, nicht viel übrig geblieben.
Hat die Schlammschlacht um Aufenthaltsund Sorgerecht, hat die teils ausführliche Berichterstattung auch über Boatengs andere Affären und Probleme etwas mit diesem Prozess und den konkreten Anklagevorwürfen zu tun? Nein. Doch es ist die Richterin, die dieses ganze Knäuel um den Fußball-Weltmeister von 2014 selbst immer wieder thematisiert. Und der bis dato Angeklagte selbst auch, der in der Verhandlung sein Bedauern über das Schicksal von Kasia L. ausdrückte. Kurz nachdem er ihr per „Bild“-Interview die Beziehung aufgekündigt und heftige Vorwürfe gemacht hatte, nahm sie sich das Leben.
Über Boatengs Medienaktivitäten, um seine Person in ein gutes Licht zu rücken, schweigt sich das Gericht hingegen aus. So war an den Verhandlungstagen ein „Medienberater“unter den Presseleuten, der sich als Mitglied des „Teams Boateng“vorstellte.
Problematisch erscheint, wie sehr Hemmerich in ihrer Begründung die
Ex-Lebensgefährtin Sherin S. abkanzelt, die Zeugin war und einziges Opfer. „Von ihrer Glaubwürdigkeit bleibt wenig übrig“, sagte die Richterin. Sie habe wohl auch nach dem gewalttätigen Streit „weiter Nächte mit ihm verbracht“. Und Hemmerich lässt durchklingen, dass S., die im Justizvollzug arbeitet, wohl „Druck im Familienverfahren“habe machen wollen. Abschließend meint die Richterin, die nun in den Ruhestand gehen kann: „Damit ist die Sache erledigt – glücklicherweise nach sechs Jahren.“
Ob sie das tatsächlich ist, darüber hat auch die Staatsanwaltschaft zu entscheiden. Innerhalb einer Woche kann Revision gegen das Urteil eingelegt werden. Eine Sprecherin der Anklage stellt dazu fest: „Die Staatsanwaltschaft hatte eine härtere Strafe gefordert wegen gefährlicher Körperverletzung.“Man werde das Vorgehen nun beraten. Berücksichtigen müsse man aber auch „die lange Verfahrensdauer“, so die Sprecherin.