Scheinbar aussichtslos verworren
Zwei bisher unbekannte Texte der Philosophin Hannah Arendt kreisen um das Palästina-Problem.
Aus dem Dunkel des Vergessens sind zwei bisher unbekannte Texte von Hannah Arendt aufgetaucht. Sie erscheinen unter dem Titel „Über Palästina“und könnten dazu beitragen, über eine Lösung im scheinbar aussichtslos verworrenen Nahostkonflikt nachzudenken, der nicht erst seit dem Massaker der Hamas am 7. Oktober die Welt beunruhigt.
Den Aufsatz „Amerikanische Außenpolitik und Palästina“verfasste Hannah Arendt 1944. Sie reagierte auf eine in den US-Kongress eingebrachte Resolution, die ihre Regierung aufforderte, eine „Nationale Heimstätte für die Juden in Palästina“zu schaffen und zu beschützen. Nach Protesten arabischer Länder und Organisationen wurde die Resolution in Fachausschüsse überwiesen und verpuffte. Arendt meinte, das sei ein „schwerer Schlag“für das „jüdische Volk“, der sich auch gegen alle amerikanischen Bürger richte, denen „die Sache der Freiheit und Sicherheit“der Juden wichtig ist. Sie erinnerte daran, dass Amerika als Einwanderungsland stets der Maxime folgte, sich einzumischen, wenn in den Herkunftsländern oder Heimstätten ihrer Einwanderer die Freiheit gefährdet ist. Zwar dürfe die amerikanische Regierung nicht die Ölversorgung durch Saudi-Arabien gefährden, aber es sei auch ihre Aufgabe, Solidarität mit den über fünf Millionen Menschen jüdischer Abstammung in den USA zu üben. Mit ihrer Entscheidung, eine Öl-Pipeline in Nahost zu bauen, werde man ohnehin Machtfaktor in der Region und müsse Stellung beziehen. Nach dem Abzug der Briten aus der Region, die man als Palästina (einen
Staat Palästina gab es nie) bezeichnet, werde es zum Blutvergießen zwischen Juden und Arabern kommen. Hannah Arendts Essay wurde nicht veröffentlicht. Wie die Neugestaltung der Welt nach der sich abzeichnenden Niederlage des HitlerRegimes aussehen könnte, war den Herausgebern wichtiger als die von Arendt aufgeworfene Frage, wie die US-Außenpolitik mit den sich in Palästina durch den Zustrom jüdischer Flüchtlinge und dem Ende der britischen Kolonialherrschaft abzeichnenden Problemen reagieren sollte.
Ihren Bericht über „Das palästinensische Flüchtlingsproblem. Ein neuer Ansatz und ein Plan für eine Lösung“formulierte Arendt 1958 zusammen mit einem 17-köpfigen Autorenkollektiv. Welche Ideen und Formulierungen Arendt beigesteuert hat, ist unklar. Außer in einem Brief an ihren Vertrauten Karl Jaspers
hat sie den Bericht nie erwähnt.
Die Autoren erinnern daran, dass seit 1948, infolge des Krieges und der Staatsgründung Israels, fast eine Million Palästinenser ihre Heimat verlassen mussten, und sie stellen die These auf, dass die Rückkehr der Vertriebenen oder eine großzügige Entschädigung ein maßgebliches Kriterium für einen Frieden sei. Auch wenn Israel aus Furcht vor Instabilität und Unterwanderung jede Form von Repatriierung zurückweise, müsse man erkennen, dass die Situation der staatenlosen Flüchtlinge, die im Westjordanland, im Gazastreifen und im Libanon in Lagern untergebracht sind, politischen Sprengstoff berge und die Gewalt in Nahost ständig vorantreibe.
Info
Hannah Arendt: Über Palästina. Herausgegeben von Thomas Meyer, Piper, 272 Seiten, 22 Euro