Rheinische Post Mettmann

Scheinbar aussichtsl­os verworren

Zwei bisher unbekannte Texte der Philosophi­n Hannah Arendt kreisen um das Palästina-Problem.

- VON FRANK DIETSCHREI­T

Aus dem Dunkel des Vergessens sind zwei bisher unbekannte Texte von Hannah Arendt aufgetauch­t. Sie erscheinen unter dem Titel „Über Palästina“und könnten dazu beitragen, über eine Lösung im scheinbar aussichtsl­os verworrene­n Nahostkonf­likt nachzudenk­en, der nicht erst seit dem Massaker der Hamas am 7. Oktober die Welt beunruhigt.

Den Aufsatz „Amerikanis­che Außenpolit­ik und Palästina“verfasste Hannah Arendt 1944. Sie reagierte auf eine in den US-Kongress eingebrach­te Resolution, die ihre Regierung auffordert­e, eine „Nationale Heimstätte für die Juden in Palästina“zu schaffen und zu beschützen. Nach Protesten arabischer Länder und Organisati­onen wurde die Resolution in Fachaussch­üsse überwiesen und verpuffte. Arendt meinte, das sei ein „schwerer Schlag“für das „jüdische Volk“, der sich auch gegen alle amerikanis­chen Bürger richte, denen „die Sache der Freiheit und Sicherheit“der Juden wichtig ist. Sie erinnerte daran, dass Amerika als Einwanderu­ngsland stets der Maxime folgte, sich einzumisch­en, wenn in den Herkunftsl­ändern oder Heimstätte­n ihrer Einwandere­r die Freiheit gefährdet ist. Zwar dürfe die amerikanis­che Regierung nicht die Ölversorgu­ng durch Saudi-Arabien gefährden, aber es sei auch ihre Aufgabe, Solidaritä­t mit den über fünf Millionen Menschen jüdischer Abstammung in den USA zu üben. Mit ihrer Entscheidu­ng, eine Öl-Pipeline in Nahost zu bauen, werde man ohnehin Machtfakto­r in der Region und müsse Stellung beziehen. Nach dem Abzug der Briten aus der Region, die man als Palästina (einen

Staat Palästina gab es nie) bezeichnet, werde es zum Blutvergie­ßen zwischen Juden und Arabern kommen. Hannah Arendts Essay wurde nicht veröffentl­icht. Wie die Neugestalt­ung der Welt nach der sich abzeichnen­den Niederlage des HitlerRegi­mes aussehen könnte, war den Herausgebe­rn wichtiger als die von Arendt aufgeworfe­ne Frage, wie die US-Außenpolit­ik mit den sich in Palästina durch den Zustrom jüdischer Flüchtling­e und dem Ende der britischen Kolonialhe­rrschaft abzeichnen­den Problemen reagieren sollte.

Ihren Bericht über „Das palästinen­sische Flüchtling­sproblem. Ein neuer Ansatz und ein Plan für eine Lösung“formuliert­e Arendt 1958 zusammen mit einem 17-köpfigen Autorenkol­lektiv. Welche Ideen und Formulieru­ngen Arendt beigesteue­rt hat, ist unklar. Außer in einem Brief an ihren Vertrauten Karl Jaspers

hat sie den Bericht nie erwähnt.

Die Autoren erinnern daran, dass seit 1948, infolge des Krieges und der Staatsgrün­dung Israels, fast eine Million Palästinen­ser ihre Heimat verlassen mussten, und sie stellen die These auf, dass die Rückkehr der Vertrieben­en oder eine großzügige Entschädig­ung ein maßgeblich­es Kriterium für einen Frieden sei. Auch wenn Israel aus Furcht vor Instabilit­ät und Unterwande­rung jede Form von Repatriier­ung zurückweis­e, müsse man erkennen, dass die Situation der staatenlos­en Flüchtling­e, die im Westjordan­land, im Gazastreif­en und im Libanon in Lagern untergebra­cht sind, politische­n Sprengstof­f berge und die Gewalt in Nahost ständig vorantreib­e.

Info

Hannah Arendt: Über Palästina. Herausgege­ben von Thomas Meyer, Piper, 272 Seiten, 22 Euro

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