Schindluder mit Tempo 30
ANALYSE Die Kommunen dürfen jetzt Geschwindigkeitsbegrenzungen in geschlossenen Ortschaften flexibler festlegen als bisher. Doch Köln zeigt, dass dies Ideologen auf den Plan rufen kann. Die überschreiten gern ihre Kompetenzen.
Kommunale Selbstverwaltung ist ein hohes Gut. Und grundsätzlich sollte es den Gemeinden und Städten überlassen bleiben, welches Tempolimit sie auf welchen Straßen verfügen. Das war bisher streng reglementiert. Selbst in Fragen der Verkehrs- und Stadtplanung mussten sich die Kommunen eng an die Vorgaben der bundesweiten Straßenverkehrsordnung halten. Die Bezirksregierungen konnten ihnen als Kommunalaufsicht vorschreiben, wo Beschränkungen wie etwa das umstrittene Tempo 30 erlaubt waren und wo nicht.
Kürzlich hat der Bundesrat der Änderung der Straßenverkehrsordnung zugestimmt. Der nordrhein-westfälische Verkehrsminister Oliver Krischer (Grüne) hatte sich sehr dafür eingesetzt und sogar im Plenum der Länderkammer zum Thema gesprochen. Jetzt sind die Städte und Gemeinden viel freier, wenn sie Tempo 30 verhängen wollen. Das ist gut. Denn aus städteplanerischer Sicht und auch vor Schulen, Kindergärten oder Spielplätzen sind weitere Tempo-30-Zonen durchaus sinnvoll. Schließlich ist die Entschleunigung im Stadt- und Ortsgebiet ein wichtiges Mittel, um die Zahl der schweren Unfälle, gerade mit Kindern, zu senken, vielleicht sogar auf null zu bringen.
Weniger gut ist die große Bandbreite, über die Kommunen jetzt verfügen können. Denn neben Verkehrsfluss, Lärmemissionen, Sicherheit und Stadtplanung sind auch Begründungen wie der Klimaschutz künftig möglich. Damit schlüpfen Verkehrsplaner in die Rolle von Menschheitsbeglückern, als könnten sie den globalen Klimawandel mit Tempolimits bekämpfen.
Das überschreitet die Kompetenzen der Gemeinden. Denn Artikel 28 Absatz 2 des Grundgesetzes sieht vor, dass die
Kommunen „alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft“in Selbstverwaltung erledigen sollen. Das schließt nicht Dinge ein, die eine einzelne Stadt oder Gemeinde gar nicht beeinflussen kann. Dazu gehört das Klima. Selbst Millionenstädte, die flächendeckend Tempo 30 einführen, leisten einen Beitrag zum Klimaschutz, der global gesehen gegen null geht. Deswegen ist das nicht ihre Aufgabe, zumal es eher unwahrscheinlich ist, dass andere in weltweitem Maßstab ihrem Beispiel folgen. Gerade in manchen Städten machen sich selbst ernannte Klimaschützer auf, zugunsten solcher unbestimmten Ziele massiv in den Verkehr einzugreifen. Der Kölner Verkehrsdezernent Ascan Egerer ist einer von ihnen. Mit Tempo 20 und der absurden völligen Gleichberechtigung von Autos, Fahrradfahrern und Fußgängern auf einer Kölner Verkehrsachse im Stadtteil Ehrenfeld hat er die Ideologie auf die Spitze getrieben. Wer soll solche Beigeordnete stoppen, wenn sie jetzt größtmögliche Flexibilität für chaotische Experimente bekommen? Da ist es gut, wenn die Kommunalaufsicht den Wildwuchs begrenzt. Denn die Bürgerinnen und Bürger können fehlgeleitete Verwaltungsspitzen nicht sofort abwählen, der Stadtrat mit seinen festen Koalitionen wie im Fall von Köln will es oft nicht.
Die Neuregelung der Straßenverkehrsordnung ist wieder ein Beispiel dafür, dass alle staatlichen Ebenen in allen Politikfeldern mitmischen wollen. Die Europäische Union will den Kommunen vorschreiben, wie sie Straßenfeste zu organisieren hat, indem sie Dutzende von verbindlichen Richtlinien erlässt – von der Antidiskriminierung über die europaweite Ausschreibung bis zur Beseitigung des Mülls. Die Kommunen wollen Klimaschutz vorantreiben, obwohl das Aufgabe internationaler Konferenzen ist. Und in diesem großen Mischmasch weiß der Bürger dann nicht mehr,
Der Bürger weiß oft nicht mehr, welche Vorschrift von welcher Ebene kommt