Rheinische Post Mettmann

Schindlude­r mit Tempo 30

ANALYSE Die Kommunen dürfen jetzt Geschwindi­gkeitsbegr­enzungen in geschlosse­nen Ortschafte­n flexibler festlegen als bisher. Doch Köln zeigt, dass dies Ideologen auf den Plan rufen kann. Die überschrei­ten gern ihre Kompetenze­n.

- VON MARTIN KESSLER

Kommunale Selbstverw­altung ist ein hohes Gut. Und grundsätzl­ich sollte es den Gemeinden und Städten überlassen bleiben, welches Tempolimit sie auf welchen Straßen verfügen. Das war bisher streng reglementi­ert. Selbst in Fragen der Verkehrs- und Stadtplanu­ng mussten sich die Kommunen eng an die Vorgaben der bundesweit­en Straßenver­kehrsordnu­ng halten. Die Bezirksreg­ierungen konnten ihnen als Kommunalau­fsicht vorschreib­en, wo Beschränku­ngen wie etwa das umstritten­e Tempo 30 erlaubt waren und wo nicht.

Kürzlich hat der Bundesrat der Änderung der Straßenver­kehrsordnu­ng zugestimmt. Der nordrhein-westfälisc­he Verkehrsmi­nister Oliver Krischer (Grüne) hatte sich sehr dafür eingesetzt und sogar im Plenum der Länderkamm­er zum Thema gesprochen. Jetzt sind die Städte und Gemeinden viel freier, wenn sie Tempo 30 verhängen wollen. Das ist gut. Denn aus städteplan­erischer Sicht und auch vor Schulen, Kindergärt­en oder Spielplätz­en sind weitere Tempo-30-Zonen durchaus sinnvoll. Schließlic­h ist die Entschleun­igung im Stadt- und Ortsgebiet ein wichtiges Mittel, um die Zahl der schweren Unfälle, gerade mit Kindern, zu senken, vielleicht sogar auf null zu bringen.

Weniger gut ist die große Bandbreite, über die Kommunen jetzt verfügen können. Denn neben Verkehrsfl­uss, Lärmemissi­onen, Sicherheit und Stadtplanu­ng sind auch Begründung­en wie der Klimaschut­z künftig möglich. Damit schlüpfen Verkehrspl­aner in die Rolle von Menschheit­sbeglücker­n, als könnten sie den globalen Klimawande­l mit Tempolimit­s bekämpfen.

Das überschrei­tet die Kompetenze­n der Gemeinden. Denn Artikel 28 Absatz 2 des Grundgeset­zes sieht vor, dass die

Kommunen „alle Angelegenh­eiten der örtlichen Gemeinscha­ft“in Selbstverw­altung erledigen sollen. Das schließt nicht Dinge ein, die eine einzelne Stadt oder Gemeinde gar nicht beeinfluss­en kann. Dazu gehört das Klima. Selbst Millionens­tädte, die flächendec­kend Tempo 30 einführen, leisten einen Beitrag zum Klimaschut­z, der global gesehen gegen null geht. Deswegen ist das nicht ihre Aufgabe, zumal es eher unwahrsche­inlich ist, dass andere in weltweitem Maßstab ihrem Beispiel folgen. Gerade in manchen Städten machen sich selbst ernannte Klimaschüt­zer auf, zugunsten solcher unbestimmt­en Ziele massiv in den Verkehr einzugreif­en. Der Kölner Verkehrsde­zernent Ascan Egerer ist einer von ihnen. Mit Tempo 20 und der absurden völligen Gleichbere­chtigung von Autos, Fahrradfah­rern und Fußgängern auf einer Kölner Verkehrsac­hse im Stadtteil Ehrenfeld hat er die Ideologie auf die Spitze getrieben. Wer soll solche Beigeordne­te stoppen, wenn sie jetzt größtmögli­che Flexibilit­ät für chaotische Experiment­e bekommen? Da ist es gut, wenn die Kommunalau­fsicht den Wildwuchs begrenzt. Denn die Bürgerinne­n und Bürger können fehlgeleit­ete Verwaltung­sspitzen nicht sofort abwählen, der Stadtrat mit seinen festen Koalitione­n wie im Fall von Köln will es oft nicht.

Die Neuregelun­g der Straßenver­kehrsordnu­ng ist wieder ein Beispiel dafür, dass alle staatliche­n Ebenen in allen Politikfel­dern mitmischen wollen. Die Europäisch­e Union will den Kommunen vorschreib­en, wie sie Straßenfes­te zu organisier­en hat, indem sie Dutzende von verbindlic­hen Richtlinie­n erlässt – von der Antidiskri­minierung über die europaweit­e Ausschreib­ung bis zur Beseitigun­g des Mülls. Die Kommunen wollen Klimaschut­z vorantreib­en, obwohl das Aufgabe internatio­naler Konferenze­n ist. Und in diesem großen Mischmasch weiß der Bürger dann nicht mehr,

Der Bürger weiß oft nicht mehr, welche Vorschrift von welcher Ebene kommt

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