Freude an der Neuerfindung
Unter dem Titel „Courage“zeigt das Lehmbruck-Museum in Duisburg eine spektakuläre Ausstellung mit Werken seines Namensgebers und Pionieren der Avantgarde.
DUISBURG Im Juni 1964 wurde das Duisburger Lehmbruck-Museum eröffnet. Als ein „Haus aus Glas“hatte es Manfred Lehmbruck, Sohn des in Duisburg geborenen Künstlers Wilhelm Lehmbruck (1881–1919), entworfen. Nach wie vor gilt es als eines der schönsten Museen überhaupt. Die Architektur mit ihrem Zusammenspiel von Innen und Außen erscheint selbst als ein Symbol für Transparenz und Weltoffenheit. Das Jubiläum „60 Jahre Lehmbruck-Museum“bietet Anlass für die spektakuläre Schau „Courage. Lehmbruck und die Avantgarde“. Die seit 16. Juni geöffnete Ausstellung ist die größte in der bislang elfjährigen Amtszeit von Museumsdirektorin Söke Dinkla.
Der Begriff „Courage“ist der gemeinsame Nenner der präsentierten Werke, die aus der eigenen Sammlung stammen oder als Leihgaben von den bedeutendsten Museen Europas kommen. Versammelt sind Meisterwerke von Pionierinnen und Pionieren wie Auguste Rodin, Medardo Rosso, Otto Dix, Oskar Schlemmer, Alexej Jawlensky, Lyonel Feininger, Käthe Kollwitz sowie – was anfangs überrascht – Egon Schiele. All diese Arbeiten werden in einen Dialog mit Schlüsselwerken von Wilhelm Lehmbruck gesetzt. Wobei erstmals der österreichische „Skandalkünstler“Egon Schiele (1890–1918) im Zwiegespräch mit Wilhelm Lehmbruck erlebt werden kann.
Es ist ein Aha-Erlebnis, wenn man Lehmbrucks „Denker“in Nachbarschaft von Schieles Selbstbildnis mit gesenktem Kopf aus dem Jahr 1912 betrachtet: Die Seelenverwandtschaft der beiden Künstler, die der Zerrissenheit des Menschen eine künstlerische Form geben, ist frappierend. Von großer symbolischer Ausdruckskraft ist Lehmbrucks Torso der „Schreitenden“, die nach vorne geht, dabei den Blick jedoch nach hinten richtet, vielleicht um zu schauen, ob jemand folgt.
Zu den Paradeexponaten der Ausstellung gehört Rodins Denkmal für die Bürger von Calais, womit der Künstler ein historisches Symbol für den Mut und die Opferbereitschaft von Menschen geschaffen hat, die ihr eigenes Leben für andere hingaben. Bezeichnenderweise stehen die Bürger nicht auf einem Sockel.
Medardo Rosso (1858–1928) steht zu Unrecht im Schatten von Rodin, dabei ist er einer der bedeutendsten Bildhauer des Impressionismus. Seine Skulpturen aus Wachs mit ihren „aufgeweichten“Konturen passen zum skeptischen Menschenbild vieler Künstlerinnen und Künstler seiner Generation.
Etwas kühn, aber dennoch vertretbar mutet im Ausstellungszusammenhang ein Werk von Umberto Boccioni (1882–1916) an, der in seiner Gussfigur verschiedene Phasen der Bewegung zusammenfasst, um so den von ihm beklagten
Makel des Statischen bei Skulpturen aufzulösen. Die Leihgabe aus dem niederländischen Kröller-MüllerMuseum gilt als ikonisches Werk des Futurismus.
Eine weitere Überraschung sind die Bezüge zum Dadaismus, den Wilhelm Lehmbruck während seiner Züricher Jahre von 1916 bis 1919 kennenlernte. In der Ausstellung werden die Figurinen von Sophie Taeuber-Arps in Bezug zu den Büsten der „Knienden“und der „Sinnenden“gesetzt, bei denen der Schnitt in subversiver Dada-Manier durch die Brustwarzen geht. Ein Kapitel für sich sind die Arbeiten gegen den Krieg. Beispielhaft wird ein Gegenüber von Lehmbrucks kriegsmüdem Jüngling und Käthe Kollwitz’ Pietà (Mutter mit totem Sohn) gestaltet.
Museumsdirektorin Söke Dinkla selber zieht ein schönes Fazit der Jubiläumsausstellung: „Sie stellt beispielhaft dar, dass es der Kunst mit Mut, Eigensinn und Freude an der Neuerfindung gelingen kann, unser Bewusstsein zu schärfen und uns zu neuen Schritten zu ermutigen.“Bundestagspräsidentin Bärbel Bas ist Schirmherrin. Der Katalog erscheint in den nächsten Wochen. Eine Übersicht über das Rahmenprogramm gibt es im Internet unter www.lehmbruckmuseum.de.