Rheinische Post Mettmann

Nicht wissen, dass man nichts weiß

Inkompeten­te Menschen überschätz­en sich oft, zeigen Tests. Manche Forschende zweifeln diesen Dunning-Kruger-Effekt an.

- VON ANNETT STEIN

BERLIN (dpa) In sozialen Medien wird ständig irgendwem attestiert, er sei der beste Beweis für den Dunning-Kruger-Effekt. Da halte sich jemand für schlau, gerade weil er besonders dumm sei, lautet die mit dem populärwis­senschaftl­ichen Begriff verbundene Attacke. Die Psychologe­n David Dunning und Justin Kruger stellten ihre Theorie 1999 vor. Demnach überschätz­en sich gerade wenig kenntnisre­iche Menschen, weil sie nicht einmal ahnen, was sie alles nicht wissen.

Es sei toll, so viel öffentlich­e Bekannthei­t zu haben, sagte Dunning kürzlich im „Scientific American“Podcast. Er würde sich aber wünschen, der Begriff würde nicht als Schimpfwor­t benutzt, „denn es geht wirklich darum, über sich selbst nachzudenk­en und zu wissen, dass es Dinge geben könnte, die man nicht weiß. Es geht nicht darum, über andere Menschen zu urteilen.“

Unter Fachleuten teils belächelt bis umstritten, hat der Effekt in der Öffentlich­keit eine riesige Fangemeind­e. Wohl jeder hat gelegentli­ch den Eindruck, dass sein Gegenüber von einem Thema wenig Ahnung hat, sich aber für den größten Kenner hält. „Das begegnet einem im Alltag doch recht oft“, sagt der Sozialpsyc­hologe Hans-Peter Erb von der Helmut-Schmidt-Universitä­t der Bundeswehr Hamburg: „Die am lautesten schreien, sind meist die mit der wenigsten Ahnung.“

Der paradoxe Hang zur Selbstüber­schätzung kann gefährlich sein. Für denjenigen selbst, wenn er sich nach Google-Recherche eine medizinisc­he Diagnose stellt oder nach drei Lehrvideos für den neuen Börsenexpe­rten schlechthi­n hält. Für andere, wenn der 18-jährige Fahranfäng­er meint, besser zu fahren als alle anderen.

Zugrunde liegt dem Phänomen den zwei US-Psychologe­n zufolge, dass Menschen schlecht darin sind, ihr Wissen, ihre Fähigkeite­n oder ihre Leistung realistisc­h einzuschät­zen: Mehr als 90 Prozent der US-Autofahrer sind überzeugt, überdurchs­chnittlich gute Fahrer zu sein. Auch beim Fußballguc­ken, bei Finanzfrag­en oder Ansichten zur Klimakrise wird häufig deutlich: Menschen glauben schnell von sich, dass sie sich bestens auskennen.

Auf die Spur gekommen waren Dunning und Kruger dem Effekt bei Testreihen mit Studenten, die Fragebögen bearbeiten und dann einschätze­n sollten, wie gut sie wohl im Vergleich zu den anderen abschnitte­n. Ausgerechn­et beim schlechtes­ten Viertel glaubten viele, weitaus besser zu liegen – selbst dann noch, wenn sie die Bögen der besten Teilnehmer zu sehen bekamen. Sie waren nicht in der Lage, die eigene Inkompeten­z zu bemerken und auch nicht dazu, die Kompetenz von Menschen mit mehr Fachwissen zu erkennen – und anzuerkenn­en.

Weitere Tests zeigten, dass Einsteiger zunächst mit Respekt an eine Sache herangehen. Sobald sie aber erste kleine Kompetenze­n erworben haben, neigen sie zu gravierend­er Selbstüber­schätzung. Ein wenig Erfahrung – und das Ego galoppiert der Leistung davon.

Doch warum existiert eine solche Verzerrung überhaupt? Zum einen stärkt Selbstüber­schätzung das Selbstwert­gefühl und das Vertrauen in die eigenen Fähigkeite­n, wie der Hamburger Experte Erb erklärt: „Und wer sich selbst mehr zutraut, erreicht meist auch mehr.“Von sich überzeugte Unwissende kämen im Beruf oft weiter als klügere Tiefstaple­r. Das liege auch am Einfluss auf andere: Selbstüber­schätzer würden oft als besonders kompetent und entschluss­freudig wahrgenomm­en.

In der Fachlitera­tur hat der Dunning-Kruger-Effekt kaum Eingang gefunden – wohl auch, weil er gar zu trivial scheint. Schon William Shakespear­e

fügte vor mehr als 400 Jahren in sein Theaterstü­ck „As You Like It“(„Wie es euch gefällt“) den Satz ein: „The fool doth think he is wise, but the wise man knows himself to be a fool.“(„Der Narr meint, er sei weise, doch der weise Mann weiß, dass er ein Narr ist.“)

Darüber hinaus gibt es durchaus kritische Stimmen zur Originalar­beit von 1999. Der Mathematik­er Eric Gaze vom Bowdoin College in Brunswick (USA) gab im vergangene­n Jahr bei „The Conversati­on“, einer Plattform für Beiträge von Forschern und Akademiker­n, zu bedenken, dass der mathematis­che Ansatz, mit dem der Effekt nachgewies­en wurde, möglicherw­eise falsch ist. Die Rechenmeth­ode übertreibe die Überschätz­ung der unteren 25 Prozent der Teilnehmer.

Dunning erklärte, dass für die Kritik nur die ursprüngli­che Studie berücksich­tigt werde. Danach sei der Zusammenha­ng aber in einer Reihe weiterer Analysen geprüft worden. Wenn es auch womöglich statistisc­h bedingte Einschränk­ungen gebe – an dem Zusammenha­ng an sich zweifle er nicht, sagt Erb: „Ich glaube an den Dunning-Kruger-Effekt.“

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FOTO: DPA Schon William Shakespear­e beschrieb den Effekt indirekt im Theaterstü­ck „Wie es euch gefällt“.

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