Nato bestreitet strategischen Durchbruch Russlands
BRÜSSEL Es ist ein für den höchsten Nato-Militär unerwarteter Rat, mit dem Admiral Rob Bauer an diesem Donnerstag das Treffen mit seinen Amtskollegen aus den 32 Mitgliedsländern im Brüsseler Hauptquartier eröffnet: Sollten diese vor die Frage gestellt werden, ob sie die Fähigkeitsziele der Nato erreichen oder der Ukraine mit Lieferungen beistehen sollen – „dann unterstützen Sie die Ukraine“, lautet die Empfehlung des Chefs des Nato-Militärausschusses.
Seine Begründung: Vorräte ließen sich jederzeit wieder auffüllen, aber Verluste von ukrainischen Menschenleben seien endgültig. Die Unterstützung, die die Ukraine nötig hätte, um sich der russischen Angriffe zu erwehren, kam zuletzt zu zaghaft und zu gering.
Erst am Vorabend des Nato-Treffens hatte der britische Verteidigungsminister Grant Shapps von einem „Weckruf“gesprochen. Das Vorrücken der russischen Streitkräfte in der Region Charkiw habe gezeigt, dass man sich in diesem Krieg keine nachlassende Unterstützung leisten könne. Die USA hätten zu lange gebraucht, um mit ihrem neuen Hilfspaket durch den Kongress zu kommen. „Stand heute ist die Situation im Gebiet Charkiw insgesamt kontrollierbar, unsere Kämpfer fügen den Okkupanten spürbare Verluste zu“, berichtete der ukrainische Präsidenten Wolodymyr Selenskyj am Donnerstag.
In der abendlichen AbschlussPressekonferenz verbreiteten Bauer und der Chef des europäischen Nato-Hauptquartiers, General
Christopher Cavoli, Zuversicht zum kurz bevorstehenden Eintreffen signifikanter Lieferungen von Munition, Waffen und gepanzerten Fahrzeugen. Nach den Schilderungen ihrer ukrainischen Amtskollegen sind sich die hohen Militärs sicher, dass die Durchbrüche russischer Truppen im Bereich Charkiw in den vergangenen Tagen nur lokale Bedeutung haben. „Russland hat nicht die Fähigkeit zu einem strategischen Durchbruch“, lautet die Analyse von Cavoli. Die höchsten Nato-Militärs räumen jedoch ein, dass die Alliierten
verzögert Nachschub geliefert hätten und dies „ernsthafte Konsequenzen“auf dem Schlachtfeld gehabt habe. Es müsse auch Verbesserungen geben bei der Koordination der Unterstützung. Die Partner in der Ukraine-Kontaktgruppe sollten nicht nur sagen, was sie der Ukraine liefern wollen, sondern dafür auch einen Zeitpunkt nennen. Aktuell könne sich die Ukraine innerhalb von Tagen oder einer Woche auf größere Mengen Materials einstellen. „Hilfe ist auf dem Weg“, unterstrich Bauer.