Düsseldorfer Tageseltern kontra Jugendamt
3500 Kleinkinder werden von Tageseltern betreut. Die Stadt will dafür neue Regeln festlegen. Die Betreuer fürchten um ihre Existenz.
DÜSSELDORF Das Gros der Düsseldorfer Tagesmütter und -väter läuft Sturm gegen geplante Änderungen bei der Finanzierung der Kindertagespflege. Finden die Pläne des Jugendamtes im Juni im Jugendhilfeausschuss eine Mehrheit, sollen bereits von August an nur 35 Stunden pro Woche und Kind pauschal abrechenbar sein. Bislang ging das für bis zu 45 Wochenstunden. „Und es bleibt auch weiterhin möglich“, sagt Stephan Glaremin, Leiter des Amtes für Soziales und Jugend.
Allerdings sollen Eltern für eine Betreuung, die die Schwelle von 35 Stunden übersteigt, schon bald Arbeitszeit-Bescheinigungen ihrer Arbeitgeber vorlegen oder alternativ in einem persönlichen Gespräch im i-Punkt Familie erläutern, warum sie beispielsweise bei einer Arbeitszeit von 25 oder 30 Stunden ihr Kind 40 oder 45 Stunden betreuen lassen wollen. In einem Elternbrief zur „bedarfsgerechten Förderung in der Kindertagespflege“nennt die Stadt die geplante Reform der Richtlinien „sozial, gerecht und transparent“.
Doch so kommt es derzeit bei vielen Familien mit Kleinkindern und bei den meisten Tageseltern nicht an. Wie groß der Druck im Kessel ist, wurde am Montagabend bei einer stadtweiten Info-Veranstaltung im rappelvollen Pfarrsaal von St. Franziskus in Mörsenbroich deutlich. Mehr als 250 Menschen waren gekommen. Und ihre Botschaft war deutlich.
Der Versuch, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf durch eine faktische Einkürzung der Betreuungszeiten wieder zu erschweren, sei „rückwärtsgewandt, dumm und sexistisch“, sagte Sarah Valentina Winkhaus, alleinerziehende Mutter einer in der Tagespflege betreuten Tochter und Autorin des Buches „Ich werde Eltern“. Die jetzt in Angriff genommene Änderung atme den Geist von gestern und sei das Gegenteil von Wertschätzung für einen Berufsstand, ohne den die U3-Betreuung in Düsseldorf nicht funktionieren könne. „Und es schwingt bei solchen Plänen unterschwellig mit, dass Mütter, die ihr Kind abgeben wollen, am Ende eben doch schlechtere Mütter sind“, argumentierte Winkhaus. Dabei sei das Beste, was kleinen
Kindern passieren könne, Zeit mit Gleichaltrigen zu verbringen, sich an ihnen zu messen und daran zu wachsen.
Dass es um mehr als ein paar formale Korrekturen am bisherigen System geht, machten zahlreiche Tageseltern deutlich. „Corona haben wir irgendwie hingekriegt, aber jetzt habe ich Existenzangst, die ich zuvor nie hatte. Und ich habe Angst, Mitarbeiter kündigen zu müssen“, sagte Jürgen Grah, der inzwischen zwei Tagespflegen mit jeweils fünf Kindern betreibt. Zwei Familien hätten ihm in den vergangenen Tagen den Betreuungsvertrag gekündigt, berichtet der Vater von Zwillingen, der auch als Coach arbeitet. Die hätten einfach Angst, dass sie bei Wochenarbeitszeiten von unter 30 Stunden demnächst keine 45 Stunden-Plätze in der Tagespflege mehr genehmigt bekämen. „Und sie haben mir berichtet, dass sie kürzlich in einer
Kita jeweils 45-Stunden-Plätze angeboten bekommen haben, ich müsse einfach verstehen, dass ihnen in der neuen Situation nun keine andere Wahl mehr bliebe als dorthin zu wechseln“, sagte Grah.
Damit trifft der Mann, den einige Eltern aus den Kursen „Starke Eltern – starke Kinder“kennen, den Nerv der Betroffenen im Saal. Ihre enorme Verunsicherung ist an diesem Abend greifbar. Immer wenn Stadt und Jugendamt auch wegen einer als unzureichend empfundenen Kommunikation (Vertreter des Amts waren Montagabend nicht vor Ort) kritisiert werden, wird lautstark applaudiert. Ab und an zeigen Zwischenrufe, wie viel Frust sich in den vergangenen Wochen aufgestaut hat.
Besonders groß ist der Ärger, weil es nach Einschätzung der Betroffenen eine Ungleichbehandlung zwischen ihnen und den Kitas gibt. Denn dort, so Tessa Gierscher von der Interessengemeinschaft IG Kindertagespflege Düsseldorf, müssten weiterhin keine Nachweise erbracht werden, um das Kind 40 oder 45 Stunden pro Woche betreuen zu lassen. Dass Menschen, die nur 30 oder 35 Stunden arbeiteten, ihr Kind 40 oder 42 Stunden betreuen lassen, dürfe durch neue Nachweispflichten oder Vor-Ort-Gespräche mit städtischen Mitarbeitern nicht infrage gestellt werden. „Der Alltag berufstätiger Eltern ist stressig genug, wenn dann noch eine Stunde nach dem Job bleibt, um mal ohne Kind rasch in den Supermarkt zu springen oder an einem KieserTraining teilzunehmen, ist das gut für Mutter beziehungsweise Vater und für das Kind“, sagt Gerscher, die an diesem Abend viel Applaus und einen Blumenstrauß für ihren Einsatz an der Protestfront erhält.
Auch sie spricht über Existenzängste, denn die Tatsache, dass künftig vier Kinder in einer Gruppe nur noch 35 Stunden pro Woche betreut werden, das fünfte Kind dann aber nach wie vor 45 Stunden pro Woche, also zwei Stunden mehr am Tag, kommen soll, stelle sie vor unlösbare Probleme. Und auch eine generelle Reduzierung auf ein 35 Stunden-Angebot für alle sei keine Alternative. „Damit käme ich finanziell nicht zurecht. Die Alternative wäre, dass ich zusätzlich bei Aldi Regale einräumen gehe oder die Bude gleich ganz dicht mache.“
Stephan Glaremin kann die Sorgen verstehen, hält aber die Existenzängste für unbegründet. Dass es beim Nachweis von Arbeitszeiten demnächst einen Unterschied zwischen Kita und Tagespflege gäbe, räumt er ein. „Aber wir reden hier auch über zwei verschiedene Systeme, für die es jeweils passgenaue Lösungen geben muss“, sagt er.
Birgit Schlebusch, die in Düsseldorf vier Großtagespflegen mit jeweils bis zu neun Kindern betreibt,
schätzt das anders ein. Denn die unterschiedliche Handhabe, bei der nur in einem Teil des Systems die Betreuung von mehr als 35 Stunden erschwert werde, widerspreche der Wahl- und Wunschfreiheit der Eltern. „Ob Eltern 20, 35, 40 oder 45 Stunden betreuen lassen wollen, entscheiden sie ganz alleine und ohne äußere Zwänge und Einflussnahmen – so steht es in den einschlägigen Verordnungen, die sich auf Kinder zwischen eins und drei beziehen und darauf werden wir bestehen“, sagt Schlebusch.
Trotz des massiven Gegenwinds ist Glaremin zuversichtlich, in den kommenden drei Wochen eine tragfähige Lösung zu erreichen. Noch in dieser Woche werde es eine Sitzung des Facharbeitskreises Kindertagespflege geben. Dann folge im Juni die entscheidende Sitzung des Jugendhilfeausschusses. Darin werde es neben den neuen Regeln zur wöchentlichen Betreuungszeit auch um die Vergütung gehen. Auch an Letzterem üben die Tageseltern massiv Kritik. „Wir passen die Lohngruppen erstmals an den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst an und legen bei den Erstattungen für Miete und Material einen Qualitätszuschlag von zehn Prozent obendrauf“, betont dagegen der Amtsleiter. Am Ende halte er all das für auskömmlich und auch die Gleichberechtigung mit den Kitas stehe für ihn nicht infrage. Die Tagespflege bleibe eine ganz wichtige Säule im Düsseldorfer Betreuungssystem, „auf die wir weder verzichten können noch wollen“.