Wahlkampf aus dem Exil
Eigentlich sind die Sozialdemokraten die Favoriten bei der Katalonien-Wahl – wäre da nicht Separatistenchef Carles Puigdemont.
BARCELONA/MADRID Entscheidende Abstimmung in Spaniens unruhiger Region Katalonien, in der die Unabhängigkeitsbewegung einen eigenen Staat anstrebt: An diesem Sonntag wird in dem nordostspanischen Territorium mit der Regionalhauptstadt Barcelona eine neue Regierung gewählt. Für besondere Spannung sorgt die Kandidatur des nach Brüssel geflohenen Separatistenchefs Carles Puigdemont, der nach sechs Jahren im selbst gewählten Exil darum kämpft, wieder die Macht in Katalonien zu übernehmen.
Dabei schreckt es Puigdemont nicht, dass gegen ihn in Spanien immer noch ein Haftbefehl wegen illegaler Unabhängigkeitsaktivitäten besteht. Hintergrund ist das von Puigdemont im Jahr 2017 organisierte Unabhängigkeitsreferendum, das er entgegen einem Verbot des spanischen Verfassungsgerichts durchsetzte. In Spaniens Grundgesetz ist die Einheit der Nation verankert. Entsprechend ist eine Volksabstimmung über eine regionale Abspaltung nicht erlaubt.
Seinen Wahlkampf musste Puigdemont aus der Ferne betreiben. Aber dies scheint ihm nicht geschadet zu haben. Im Gegenteil: Puigdemont befindet sich mit seiner radikalen Separatistenpartei Junts per Catalunya (Zusammen für Katalonien) im Aufwind. Ihm gelang es, das schwächelnde Unabhängigkeitslager zu mobilisieren. Und zwar so sehr, dass sich der 61-Jährige erneut als uneingeschränkter Anführer der in mehrere Parteien aufgespaltenen Unabhängigkeitsbewegung fühlen kann.
Da er aus Angst vor der Festnahme derzeit nicht nach Katalonien reisen kann, wurden die Anhänger mit Bussen zum Kandidaten gekarrt, der in
Südfrankreich sein Wahlkampflager aufgeschlagen hat. Staatsmännisch mit Anzug und Krawatte präsentiert sich Puigdemont nun als eine Art Märtyrer. Als einer, der jahrelang zu Unrecht von Spaniens Justiz verfolgt wurde. Obwohl er doch damals als Katalonien-Präsident nichts anderes habe erreichen wollen, als die – seiner Meinung nach – von Spanien unterdrückten Katalanen in die Freiheit zu führen.
„Nur die Unabhängigkeit garantiert, dass die Katalanen als vollwertige Bürger behandelt werden”, ruft er bei einem Wahlkampfauftritt. Seine Sprüche von „Freiheit”, „Unabhängigkeit von Spanien” und „Recht auf Selbstbestimmung” kommen auch jetzt wieder gut an. Vergessen scheint, dass Puigdemont Katalonien mit seinem Abspaltungskurs in eine tiefe Krise gebracht hatte: Puigdemont wurde damals von Spaniens Regierung abgesetzt, die Region unter Zwangsverwaltung gestellt, Hunderte Unternehmen verließen Katalonien.
Der Mann, der Puigdemonts Traum von der Rückeroberung der
Macht platzen lassen könnte, heißt Salvador Illa. Der 58 Jahre alte, in Katalonien geborene Illa ist ein Vertrauter und Parteigenosse von Spaniens sozialdemokratischem Regierungschef Pedro Sánchez, der für einen Dialog mit den Separatisten eintritt. Sánchez und Illa lehnen die Unabhängigkeit Kataloniens ab, wollen den Konflikt aber dadurch entschärfen, dass sie den Katalanen eine noch weitreichendere Autonomie zugestehen.
Ein mit erheblichen Selbstverwaltungsrechten ausgestattetes Katalonien
unter spanischem Dach – das scheint dem moderaten Lager in der Bevölkerung zu gefallen. Laut Wahlbarometer des öffentlichen Fernsehens TVE wird der Sozialdemokrat Illa gewinnen, allerdings ohne ausreichende Mehrheit. Deswegen plant Illa eine blockübergreifende Koalition aus Sozialdemokraten (PSOE), Linksbündnis Sumar (Summieren) und der bisher regierenden moderaten Unabhängigkeitspartei Esquerra Republicana (Republikanische Linke).
Ob das gelingt, wird vor allem
von Puigdemonts Abschneiden abhängen. Dessen Hardliner-Partei Junts ist im Endspurt vor der Wahl eine überraschende Aufholjagd gelungen. Sie hat die gemäßigten Separatisten der Konkurrenzpartei Esquerra überholt. Zuletzt schmolz sogar der Abstand zum sozialdemokratischen Favoriten Illa. Sollte das aus insgesamt vier Parteien bestehende Separatistenlager unter Puigdemonts Führung doch noch überraschend eine Mehrheit holen, wäre ein Comeback des Chefseparatisten möglich.
Dann muss nur noch die Amnestie für Puigdemont in Kraft treten, welche die Mitte-links-Mehrheit der spanischen Regierung im nationalen Parlament auf den Weg brachte. Dies könnte in den nächsten Wochen der Fall sein. Damit würde auch der Haftbefehl gegen den Separatistenführer hinfällig. Eine Rückkehr Puigdemonts an die Macht in Katalonien wäre allerdings ein empfindlicher Schlag für Spaniens Premier Sánchez. Denn dann würde statt der erhofften Entspannung zwischen Madrid und Barcelona ein Aufflammen des Unabhängigkeitskonfliktes drohen.