„Mein Junge hatte sich aufgegeben“
Im Tagestreff der Wohnungslosenhilfe trafen sich Freunde und Angehörige, um gemeinsam um Dirk zu trauern.
METTMANN Warmherzig, hilfsbereit und herzensgut: So war er, der Dirk. Da sind sich alle einig. Dass er gestorben ist, mit 44? Das lässt sie traurig zurückblicken. Es wird eng im Tagestreff der Wohnungslosenhilfe, aus den Büros werden schnell noch Stühle herbeigeschafft. Am Ende werden es mehr als 30 Leute sein, die sich mit einer Trauerfeier von Dirk verabschieden.
Und mittendrin Stella. Sie bellt, läuft von einem zum anderen. Auf der Suche nach dem Menschen, der nicht nur ihr fehlt. Bis zuletzt war die Hundedame eine treue Begleiterin. Nach Dirks Tod ist sie bei einem Freund untergekommen. Seit ein paar Tagen frisst sie schlecht. Sie trauert. Das tun an diesem Nachmittag auch die vielen Freunde, die Dirk kannten.
Als es ihm noch besser ging, sind sie sich am Jubiläumsplatz begegnet. Oder im Tagestreff. Beinahe jeden Tag war Dirk dort, er habe gern Menschen um sich gehabt. Im letzten Jahr hat er sich zurückgezogen in seiner Wohnung. Er war krank, „offene“Beine. Früher hat er sich Heroin gespritzt, in den letzten Jahren war es vor allem der Alkohol, der seinem Körper zugesetzt hat. „Man gibt sein Leben für die Drogen auf“, erzählt eine Bekannte des Toten aus ihrem eigenen Leben. Die Sucht treibe einen jeden Tag auf die Straße: „Wer in diesem Sumpf feststecke, kommt nur schwer wieder heraus.“Dirk kannte sie seit vielen Jahren, sie sagt: „Er wollte nicht mehr leben“. Ins Krankenhaus habe er nicht gewollt. Man könne ihm, so soll er es gesagt haben, dort nicht mehr helfen.
Auch Dirks Vater glaubt: „Mein Junge hatte sich aufgegeben.“Er hat seinen Sohn tot im Bett gefunden. Oft ist er vorher bei ihm gewesen, in den letzten Monaten haben sie noch einmal zueinandergefunden. „Wir waren uns nahe“, sagt der Vater. „Einen guten Draht“habe er am Ende zu Dirk gehabt. Das sei nicht immer so gewesen. Er war 17, als der Sohn geboren wurde. Damals selbst heroinabhängig, wollte seine Freundin nicht, dass er das Kind sieht. Als Dirk älter wurde, haben sie sich „heimlich“bei der Oma getroffen. „Er war sehr verschwiegen“, sagt der Vater über seinen Sohn.
Auch das gehört zum Leben von Dirk: Es gab einen Unfall, ein Kind ist gestorben. Der Vater glaubt, sein Sohn habe mit der Schuld nicht mehr leben können. Und es am Ende auch nicht mehr gewollt, er sei daran zerbrochen. Er selbst habe den Tod kommen sehen, tun konnte er nichts. Er wollte einen Arzt rufen, sein Sohn habe das nicht gewollt. Sie seien sich beide ähnlich, sagt der Vater. Reden würden sie erst, wenn es nicht mehr anders geht. In den Wochen vor Dirks Tod haben sie viel geredet: „Es war gut, dass ich bei ihm war. Auch für mich“.
Unter den Trauergästen ist an diesem Nachmittag auch Michael Anhut. Der Diakon der katholischen Pfarrgemeinde St. Maximin ist oft auch bei der Beerdigung dabei. Ein gelebtes Leben, in einer Pappschachtel, irgendwo vergraben? Anonym, vom Sozialamt angeordnet und so, dass es die Stadtkasse nicht belastet? Anhut schüttelt den
Kopf: Mit so etwas sei man schnell an der Grenze zum Verscharren. „Ein Mensch ist kein Kostenfaktor“, spricht er über die Würde am Lebensende. Auch wenn man nichts über das Leben eines Menschen weiß, weil er auf der Straße gelebt hat. Oder weil es die nahen Menschen, die etwas über ihn hätten erzählen können, nicht gab. Man könne zum Abschied dennoch immer etwas sagen. Und wenn es Fragen seien, die man ans Leben stelle. „Wir halten keine Wertungskarten hoch“, nimmt Anhut das Lebensende von „Grenzgängern“in den Blick.
Die Musik für die Trauerfeier kommt an diesem Nachmittag vom Smartphone, „Stairway to Haven“von Led Zeppelin. Es fließen Tränen. Dirks „Buch des Lebens“sei nicht besonders dick gewesen, sagt Michael Anhut. Wer mit 44 Jahren stirbt, dem hätte man mehr Zeit gewünscht. Es sei am Ende aber nicht wichtig, wie viele Seiten ein solches Buch habe. Dabei schaut er auf Dirk, sein Foto steht auf dem Tisch. Hoodie, schwarze Mütze, trauriger Blick: Mit diesem Bild vor Augen gehen seine Freunde nach Hause.