„Kafka ist ein Meister der Vieldeutigkeit“
Zu dessen 100. Todestag präsentiert der Literaturwissenschaftler ein Buch über den berühmten Schriftsteller.
DÜSSELDORF Franz Kafka habe sich um sein Leben geschrieben, sagt Rüdiger Safranski und widmet diesem Abenteuer ein ganzes Buch. „Kafka“ist bei Hanser erschienen, an diesem Dienstag liest Safranski daraus im ausverkauften Düsseldorfer HeineHaus an der Bolker Straße.
Herr Safranski, können Sie – als Autor des neuen Kafka-Buches – drei Gründe nennen, warum man Franz Kafka heute noch lesen sollte oder auch lesen muss?
SAFRANSKI Nun ja, Kafka ist ein Autor, der auf faszinierend deutliche Weise die Undeutlichkeit des Lebens dargestellt hat.
Was heißt das?
SAFRANSKI Dass Kafka ein Meister der Vieldeutigkeit ist. Schreiben ist für ihn eine Konstruktion der Genusssucht. Man kann bei Kafka geradezu genießen, dass uns das Leben in seinen Sinnbezügen oft unheimlich und undeutlich ist. Das ist für mich die unablässige Faszination an seinem Werk. Auf jeden Fall ist das auch der Grund dafür, warum Kafka zu den am meisten kommentierten Autoren des 20. Jahrhunderts geworden ist.
Und der zweite Grund?
SAFRANSKI Ich kann natürlich nicht sagen und jetzt fordern, dass alle Menschen ihn lesen sollen. Nur so viel: Mich begleitet Kafka fast schon das ganze Leben lang. Noch vor dem Abitur 1963 habe ich eine 15-seitige Hausarbeit über Kafka geschrieben, und das war gewissermaßen mein Initiationserlebnis für die ernsthafte Literatur.
Hand aufs Herz: Haben Sie die Arbeit über Kafka als junger Mann tatsächlich gerne geschrieben? SAFRANSKI Ich kann gestehen, dass ich die Arbeit wirklich gerne geschrieben habe. Ich war vor allem
Die Lesung kann im Stream verfolgt werden
Veranstaltung Die Lesung an diesem Dienstag ist bereits ausverkauft, es sind allenfalls noch Restkarten an der Abendkasse erhältlich.
Anmeldung Interessierte können wenigstens per Live-Stream kostenlos dabei sein. Allerdings sind Anmeldungen dazu erforderlich, per E-Mail an:
info@heinehaus.de davon überrascht, wie sehr mich das Werk angesprochen hat. Ich muss aber unbedingt erwähnen, dass ich damals noch Theologie studieren wollte. Und so habe ich Kafka in meiner Hausarbeit hemmungslos metaphysisch interpretiert. Das würde ich heute etwas nach hinten stellen.
Auch wenn Sie als junger Mann so begeistert waren: Kann es sein, dass viele Schüler einfach zu früh mit den Büchern von Franz Kafka konfrontiert werden und mit Kafkas Welt schlichtweg überfordert sind? SAFRANSKI Das würde ich so pauschal nicht sagen. Nehmen Sie doch nur eine Geschichte wie die „Verwandlung“.
Sie wachen morgens auf, sind zu einen Käfer verwandelt und haben plötzlich Probleme mit ihrer Familie. Ich kann mir gut vorstellen, dass so ein Text – wenn auch auf unheimliche Weise – auf Schüler wirkt. Zudem verfügt Kafka über eine Komik, die aus einem überdrehten Realismus kommt.
Gehört Kafka zu den Autoren des 20. Jahrhunderts, die fast schon überinterpretiert wurden? SAFRANSKI Ja, Kafka gehört sicherlich dazu. Und ich wollte mit meinem Buch das Gebirge auch gar nicht weiter erhöhen, das sich an Sekundärliteratur hinter Kafka erhebt. Ich wollte mit meinem Buch eigentlich eine ganz naheliegende Frage verfolgen und beantworten: Nämlich was das Schreiben selbst für Kafka bedeutet hat. Und das ist das eigentliche Abenteuer.
Letzte Frage, letzter Tipp: Welches Kafka-Werk würden Sie den Leserinnen ans Herz legen wollen? SAFRANSKI Vor allem „Das Schloss“. Und am besten sollte man es lesen, wenn es draußen schneit – was allerdings leider nicht mehr ganz so oft der Fall ist. Das ist nämlich ein Roman, der einen wunderbar zuschneit.