„Damit aus Fremden Freunde werden“
Der Toleranzwagen zog nach vierjähriger Pause die Blicke der Massen auf sich. Die Botschaft kam bei den Zigtausenden am Straßenrand gut an. Kritische Zwischenrufe gab es keine, dafür viele anerkennende Blicke.
DÜSSELDORF Schon lange bevor sich dieser Teil des Düsseldorfer Rosenmontagszugs gegen 13.30 Uhr in Bilk in Bewegung setzt, wird der Düsseldorfer Toleranzwagen wahrgenommen. „Ihr kommt genau zur rechten Zeit, toll, macht weiter so“, ruft ein Jeck in Uniform, der rasch zu seiner Gruppe eilt. Tatsächlich ist der Wagen nach dem Terrorangriff auf Israel und seinen bis heute andauernden Folgen und den abseitigen Überlegungen Rechtsextremer über eine sogenannte „Remigration“von Hunderttausenden Menschen, die längst unumkehrbar zu diesem Land gehören, wichtig. Mindestens so wichtig wie vor vier und vor fünf Jahren. Das unterstreicht wenig später die Reaktion der Zigtausenden am Straßenrand.
Die Moderation hat der katholische Stadtdechant Frank Heidkamp übernommen. Über Lautsprecher ruft er später den Menschenmassen am Straßenrand zu: „So bunt und vielfältig ist Deutschland, so bunt und vielfältig ist Düsseldorf“. Neben jecken Helau-Einlagen und der ein oder anderen persönlichen Begrüßung unterstreicht der Pfarrer von St. Lambertus auf der Zugstrecke immer wieder, worum es ihm und den gut 20 Teilnehmern, die sich auf dem Wagen versammelt haben, geht. „Für Freiheit! Für Demokratie“, ruft er. Und man sieht in den Gesichtern einiger Zuschauer, dass sie darüber zumindest im ersten Moment überrascht sind. Denn längst nicht jeder nimmt die Botschaft der von Jacques Tilly entwickelten Motive auf den Außenseiten des Wagens gleich wahr. Dort zu sehen sind Vertreter aus den drei großen abrahamitischen Religionen: Juden, Muslime und Christen diverser Konfessionen, fröhlich zu einer Art Polonaise aufgestellt.
„Uns verbindet mehr, als uns trennt, diese Botschaft kommt bei denen, die uns zujubeln, sehr gut an“, sagt Pfarrer Martin Fricke, der den erkrankten Superintendenten Heinrich Fucks als dessen Vize vertritt. In diesem Moment hat der Wagen schon zwei Drittel des Weges hinter sich. Und bis dahin geht es – jenseits der Kernbotschaft – auch um das ganz normale Rosenmontagsgeschäft auf einem Wagen mit Jecken, die vor allem eine Erwartung der Massen erfüllen müssen: Sie müssen Kamelle schmeißen. Wohl dosiert. „Besser erst einmal einzeln werfen“, rät Jochen Lüdicke. Der Mann ist Geschäftsführer der „Dritte Gesellschaft zur Förderung kirchlich anerkannter Rechtsträger in der Erzdiözese Köln gGmbH“und hat den Toleranzwagen mit ermöglicht. „Wir konnten 50.000 Euro dafür bereitstellen“, sagt er als Vertreter des Sponsors. Hinzu kommen Zuschüsse der Religionsgemeinschaften. „Ohne diese Einzelsumme wäre es schwierig geworden“, hatte Heidkamp bereits im Vorfeld des Rosenmontagszuges gesagt.
Einzeln werfen: Das ist ein guter Rat, denn auf den Kilometern durch die Stadt wird rasch klar. Wer am Anfang in die Vollen greift, hat am Ende nichts mehr zu verteilen. Auch wenn ein paar Säcke mit Nachschub auf dem Boden liegen. Also schauen die Akteure, dass sie das Wurfmaterial gerecht verteilen. Nett kostümierte Kinder, die sich das Helau aus der
Kehle schreien, haben besonders gute Chancen. Aber die meisten Werfer wollen vor allem gerecht sein: Frauen und Männer wollen bedacht sein, und auch Jugendliche, die nicht wild drauf los krakeelen, haben eine Waffel oder ein Tütchen Popcorn oder ein paar Kaubonbons verdient. Am Ende auf der Elisabethstraße wird klar: Es hat ganz gut geklappt mit dem Einteilen.
Mit auf dem Wagen steht an diesem besonderen Nachmittag auch Nathanael Liminski, Leiter der NRW-Staatskanzlei. „Im vergangenen Jahr bin ich auf dem Wagen des Kölner Festkomitees mitgefahren, aber jetzt habe ich mich für Düsseldorf entschieden und freue mich, als Ehrengast auf dem Toleranzwagen mitfahren zu dürfen“, sagt der Minister,
der sich schon seit langer Zeit für die Vertiefung des interreligiösen Dialogs engagiert. „Die Botschaft, die heute die Menschen erreicht, ist gerade in diesen Zeiten von enormer Bedeutung“, sagt Liminski, bevor er in die Vertiefung vor sich greift und ganz professionell Kamelle in die Menge wirft.
Ein paar Meter weiter tun es ihm zwei koptische Christen gleich. Sie gehören zu den orthodoxen Kirchen und sind das erste Mal dabei. „Wir hoffen, das Spektrum der Religionen und Konfessionen noch erweitern zu können“, sagt Beate PlenkersSchneider, Geschäftsführerin der katholischen Kirche in Düsseldorf. Dass das nicht immer ein Selbstläufer ist, zeigen zwei kurzfristige Absagen von möglichen Neuzugängen in diesem Jahr. Zumindest in einem Fall war es auch darum gegangen, dass auf einem Pappmaché in der Mitte des Wagens neben Salam und Shalom auch zu lesen war „#bring them home now“– ein direkter Bezug auf die von den Hamas-Terroristen noch festgehaltenen Geiseln.
Ataman Yildirim, Muslim und Mitgründer des Vereins Orient-Okzident, kann das nicht nachvollziehen. „Wir werden auch im nächsten Jahr dieses Signal für Vielfalt und Toleranz gemeinsam mit den anderen setzen“, sagt er. Einer Meinung, der sich Bert Römgens und Michael Szentei-Heise (aktueller und früherer Geschäftsführer der Jüdischen Gemeinde) gerne anschließen. „Nach diesem Erfolg wollen wir das Projekt Toleranzwagen fortsetzen.“