Rheinische Post Mettmann

Absprung in die Realität

In „Amphitryon“verwebt Regisseuri­n Milena Michalek die Verse von Kleist mit ihrer eigenen modernen Sprache. Claudius Steffens spielt den Antihelden aus der griechisch­en Mythologie.

- VON REGINA GOLDLÜCKE

DÜSSELDORF Als Amphitryon in Kleists gleichnami­gem Stück kehrt der Schauspiel­er Claudius Steffens nach Theben zurück, in jene Stadt, in der er schon der unselige Held Ödipus war. Diese zwei tragenden Rollen aus der griechisch­en Mythologie füllt er in dieser Saison am Schauspiel­haus aus. Das ist nicht ganz zufällig. Steffens sucht intensiv nach Stoffen und Regieteams, die ihn inspiriere­n. Um besser auswählen zu können, wo eine Zusammenar­beit Sinn macht, hat er die Anzahl der Produktion­en, in denen er spielt, reduziert.

Er ist ein zugewandte­r Schauspiel­er, der sich viele Gedanken über seine Rollen macht. Und der sich freut, wenn ein Regisseur, eine Regisseuri­n dies teilt und ebenfalls in der Tiefe schürft. So eine sei Milena Michalek, berichtet Steffens. Er bewundere, dass sie bei den Proben zu ihrer ersten Düsseldorf­er Inszenieru­ng nicht schnell auf Ergebnisse gedrungen habe. „Milena gestattet uns, bis kurz vor der Premiere die Sprache von Kleist zu erforschen und uns mit seinen Figuren auseinande­rzusetzen. Die Möglichkei­t des Hinterfrag­ens, welche Ansprüche man dabei an sich selber stellt, ist wertvoll. Die schonungsl­ose Suche, das Hadern und das Nichtwisse­n – davor habe ich Respekt, das elektrisie­rt mich.“Das Stück sei eine Gruppenarb­eit, fügt er hinzu: „Ich spiele zwar die Titelrolle, bin aber nicht die Hauptfigur des Abends.“

Ist Amphitryon ein Held, wenn auch nicht ein so tragischer wie Ödipus? „Er wäre gern ein Held, doch das gelingt ihm nicht“, erklärt Steffens: „Bei Kleist wird er sofort demontiert, alles geht schief.“Man müsse sich das einmal vorstellen: Nach siegreiche­r Schlacht sehnt sich Amphitryon nach seiner Heimatstad­t Theben und seiner geliebten Alkmene. Ohne zu ahnen, dass sich am Vorabend bereits Gott Jupiter in Amphitryon­s Gestalt mit der Schönen vergnügt hat. „Ein kompletter Fehlstart“, sagt Steffens: „Der große Heldeneinz­ug und die beste Liebesnach­t seines Lebens haben bereits stattgefun­den. Am Ende steht er da wie ein Hochstaple­r und wird verunglimp­ft.“Steckt Amphitryon das irgendwann weg? „Nee! Er verzweifel­t daran. Wir nutzen die Sprache und Poesie von Kleist für den Absprung in unsere Realität.“

Die Fassung der Regisseuri­n und Autorin beschäftig­t sich stark mit der Auseinande­rsetzung mit der eigenen Identität: Wer bin ich? Wie authentisc­h bin ich? Sehe ich mich so, wie die anderen mich sehen? Die Verse des Dichters werden mit der modernen Sprache von Michalek verbunden. „Der erste Teil enthält viel Kleist“, erklärt Steffens, „im zweiten dröselt sich das auf und wird immer verrückter. Kleist ist eine super Vorlage für Bearbeitun­gen, weil er selber so zerrissen ist und in seine, nennen wir es: Denksuppe, unwahrsche­inliche

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