Der synthetische Tod
Der Konsum von Fentanyl hat in den USA eine Drogenepidemie ausgelöst. Die Vorprodukte stammen oft aus China. Staatschef Xi Jinping hat Präsident Joe Biden nun versprochen, härter gegen die Händler vorzugehen.
Wenn der Mann an Pekings Spitze ein Machtwort spricht, dann handeln seine Behörden in Windeseile: Xi Jinping versprach beim jüngsten Gipfeltreffen mit US-Präsident Joe Biden, künftig härter gegen die heimischen Fentanyl-Produzenten vorzugehen. Und noch ehe der 70-Jährige in den Flieger zurück in die Volksrepublik stieg, veröffentlichte die landesweite Drogenbehörde bereits eine einhellige Warnung an sämtliche Pharmalabore: Wer weiterhin nicht regulierte Chemikalien herstellt und exportiert, muss sich auf konsequente Strafverfolgung einstellen. Als Ursprungsland spielen chinesische Pharmafirmen bei der Fentanyl-Produktion eine entscheidende Rolle.
Für den US-Präsidenten war der gemeinsame Drogenkampf das vielleicht wichtigste Resultat des amerikanisch-chinesischen Spitzentreffens in San Francisco. „Das wird Leben retten, und ich schätze das Engagement von Präsident Xi in dieser Frage“, sagte Biden bei seiner Pressekonferenz. Er selbst kenne aus seiner Nachbarschaft zwei Teenager, die kürzlich an der Droge gestorben sind. Viele Landsleute dürften in ihrem Bekanntenkreis ähnliche Tragödien miterlebt haben.
Dementsprechend hitzig wird das Thema in den USA debattiert. Mit wenig Fantasie ruft es schließlich eine historische Parallele zum Opiumkrieg wach. War es im 19. Jahrhundert das britische Königreich, das als de facto staatlicher Dealer bis zu zehn Prozent der chinesischen Bevölkerung drogenabhängig machte, fließen die tödlichen Opiate nun in die entgegengesetzte Richtung. Die chinesische Regierung ist zwar nicht direkt in den Handel involviert, doch sie schaute viel zu lange passiv von der Seitenlinie aus zu.
Und allzu oft stritt sie das Problem auch vollends ab. „Die Behauptung, dass illegale Fentanyl-Vorprodukte aus China über Mexiko in die USA gelangen, ist reine Desinformation“, sagte Wang Wenbin, Sprecher des Pekinger Außenministeriums, noch im Juni dieses Jahres: „Die eigentliche Ursache der Fentanyl-Krise in den USA liegt im eigenen Land. Die USA müssen sich auf sich selbst besinnen“.
Fakt ist jedoch: Bereits seit Jahren lässt sich ein Großteil des Fentanyls in den Vereinigten Staaten nach China zurückverfolgen, wie ein US-Regierungsbericht aus dem Jahr 2017 festhält. Die Volksrepublik bot den perfekten Nährboden für die Droge, die sich rein synthetisch im Labor herstellen lassen kann: Das Land verfügt nach den USA über die weltweit größte Pharmabranche, die nicht nur lax reguliert wird, sondern auch mehrere Hunderttausend Unternehmen beheimatet. Die meisten von ihnen sind legal registriert, ein paar wenige agieren illegal – und etliche befinden sich im Graubereich irgendwo dazwischen.
Zunächst haben chinesische Händler die fertige Droge relativ unbehelligt vertreiben können. Über die sozialen Medien wurde das Produkt beworben, in herkömmliche Pakete verpackt und mit Kryptowährungen bezahlt. Fentanyl eignet sich für einen solchen Onlinehandel perfekt: Da es hochgradig wirksam ist, lassen sich bereits Kleinstmengen von wenigen Gramm profitabel vertreiben.
Erst im Frühjahr 2019 – und unter erheblichem Druck Washingtons – hat Chinas Regierung die Produktion und den Verkauf von Fentanyl und dessen Derivaten umfangreich verboten. Laut Angaben der USDrogenvollzugsbehörde (DEA) ist daraufhin die Anzahl an konfiszierten Lieferungen aus dem Reich der Mitte tatsächlich deutlich zurückgegangen.
Doch das Geschäftsmodell in China kam dadurch keineswegs zum Erliegen, es wechselte nur seine Form. Während der Fentanyl-Handel mittlerweile von mexikanischen Kartellen dominiert wird, haben die chinesischen Händler ihre Vertriebsstrategie geändert. So lieferten sie weiterhin die chemischen Vorprodukte, die zur Herstellung von Fentanyl notwendig sind. Und diese stammen oftmals von legal registrierten Pharmafirmen.
Deren Identität ist kein Geheimnis, ganz im Gegenteil. Erst im Oktober hatte das US-Justizministerium Anklage gegen acht chinesische Chemieunternehmen und deren Unternehmer erhoben, darunter Xiamen Wonderful Biotechnology Company und Anhui Ruihan Technology Company. Ihre Namen scheinen nichtssagend, doch folgen sie tatsächlich einem konventionellen Muster, das bereits Aufschluss über ihr Vorgehen gibt: Die Firmennamen beginnen mit ihrem Betriebsstandort (etwa: Gaosheng), gefolgt von der Branche (Biotechnology) und einer Gesellschaftsform (Co. Ltd). Auf diese Weise soll ein seriöses Image vermittelt werden.
Ob diese Unternehmen jedoch wirklich seriös sind, bleibt zumindest fraglich. So stecken hinter der Shanghai Huilitongda Biological Technology Co. Ltd zum Beispiel eine Handvoll junger Chinesen, die wie eine Mischung aus TechNerds und Kleinkriminellen agieren. Die China-Korrespondentin des US-Rundfunks National Public Radio (NPR) hat einen Verkäufer, einen kleinen Mann mit Brille und schwarzem Kapuzenpullover, während einer Investigativrecherche vor drei Jahren getroffen. Ganz offen sprach dieser über sein Vorgehen: Auf sozialen Medien wie beispielsweise Facebook pries er seine Ware an, von Fentanyl-Derivaten bis hin zu synthetischem Cannabis. Online postete er auch Fotoaufnahmen der Produkte, ließ diese von seinen Kunden wie auf einer ganz herkömmlichen E-Commerce-Plattform bewerten. Und als ein Stammklient in den USA einmal eine – nicht-tödliche – Überdosis erlitt, bezahlte der chinesische Verkäufer sogar per Bitcoin-Überweisung die Taxifahrt ins Krankenhaus.
Spätestens seit der Pandemie scheint die Vorstellung absurd, dass im hochgradig überwachten China die Regierung den illegalen Fentanyl-Handel nicht unterbinden könnte. Denn während der drei „Null Covid“-Jahre konnten die 1,4 Milliarden Chinesen schließlich nicht einmal einen Supermarkt betreten, ohne zuvor ihren sogenannten Gesundheitscode zu scannen. Überhaupt ist es unmöglich, keine digitalen Spuren im Alltag zu hinterlassen.
Bargeld wird in den meisten Geschäften verweigert, und in den urban geprägten Regionen ist praktisch der gesamte öffentliche Raum von Sicherheitskameras mit integrierter Gesichtserkennung abgedeckt. Der Vorwurf der US-Regierung scheint also einleuchtend: Weil Fentanyl innerhalb Chinas kaum konsumiert wird, kümmern sich die Behörden nur wenig um den Vertrieb ins westliche Ausland.
Die Realität ist jedoch komplizierter, wie die gemeinnützige Organisation „C4ADS“mit Sitz in Washington in einer 2020 publizierten Studie herausgefunden hat. Darin wird klar, wie anpassungsfähig die chinesischen Händler sind: Denn sobald die Regierung neue Verbotsgesetze einführt, ändern die Pharmalabore blitzschnell ihre chemischen Formeln, um der Strafverfolgung durch neue Schlupflöcher zu entgehen. Es ist ein Katz-und-Maus-Spiel, bei dem die Händler stets einen Schritt voraus sind.
Eine oberflächliche Suche ergibt: Auf der chinesischen E-Commerce-Plattform Alibaba lassen sich etliche, oft illegale Vorprodukte finden, wenn man die entsprechende CAS-Registriernummer ins Suchfeld eingibt. CAS steht dabei für „Chemical Abstracts Service“und ist ein international einheitlicher Bezeichnungsstandard für chemische Produkte. Auf der Onlineplattform werden die Substanzen wenig subtil als von „guter Qualität und hoher Reinheit“beworben. Die meisten Einträge sind bereits mehrere Jahre alt, die angebotenen Produkte nicht mehr verfügbar – offensichtlich hat zumindest hier die Strafverfolgung
Mit wenig Fantasie ruft es schließlich eine historische Parallele zum Opiumkrieg wach
China verfügt nach den USA über die weltweit größte Pharmabranche, die nur lax reguliert wird
bereits zugeschlagen.
Viele der Pharmalabore sind zudem in kleineren Städten im Landesinneren registriert, wo die Regulierung weniger engmaschig ist als in den großen Ostküstenmetropolen wie Shanghai oder Peking. Ihre Büroadressen führen in abseits gelegene Industriegebiete, gewerbliche Lagerhallen oder gewöhnliche Einkaufszentren.
Doch wenn nun Xi Jinping höchstpersönlich den Pharmalaboren den Kampf ansagt, dann dürfte ihr Geschäftsmodell wohl tatsächlich in den nächsten Monaten vor dem Aus stehen. Die chinesische Kehrtwende dürfte die Drogenepidemie in den USA jedoch nicht beenden, ja wohl nicht einmal nachhaltig beeinträchtigen. Denn schon jetzt zeichnet sich eine Verlagerung ab: Immer mehr Produzenten von Fentanyl-Vorprodukten haben sich in Indien und Südostasien angesiedelt. Wo Nachfrage ist, wird schließlich schon wenig später auch das Angebot folgen.