Rheinische Post Mettmann

Schüler traten als „Scharia-Polizei“auf

Geschlecht­ertrennung, Verschleie­rungen von Frauen und Befürwortu­ng von Folter: Vier junge Männer wollten strenge islamistis­che Regeln an ihrer Neusser Gesamtschu­le durchsetze­n. Jetzt befasst sich der Staatsschu­tz mit dem Fall.

- VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

NEUSS Die Vorkommnis­se, die sich an einer Gesamtschu­le im RheinKreis Neuss zugetragen haben sollen, erinnern an die „SchariaPol­izei“, eine islamistis­che Religionsp­olizei, die strenge Verhaltens­vorschrift­en durchsetzt. Nach Informatio­nen unserer Redaktion aus Sicherheit­skreisen sollen sich vier Oberstufen­schüler innerhalb der Schule für die Scharia ausgesproc­hen und massiven Druck auf muslimisch­e Mitschüler ausgeübt haben, die anderer Meinung gewesen sind.

Demnach forderten die „Scharia-Schüler“von Lehrern und Mitschüler­n, dass sich alle Frauen an der Schule zu bedecken haben, sowie eine allgemeine Geschlecht­ertrennung innerhalb der Schule und eine explizite Geschlecht­ertrennung beim Schwimmunt­erricht – auch bei den Lehrern. Darüber hinaus sollten sie freitags zur Gebetszeit die Schule früher verlassen dürfen; des Weiteren forderten sie die Einrichtun­g eines Gebetsraum­s im Schulgebäu­de.

Unsere Recherchen ergaben weiter, dass sich in einem Klassencha­t einige Schüler dafür ausgesproc­hen haben sollen, die Chatgruppe nach Geschlecht­ern zu trennen, weil die Geschlecht­ermischung gegen die islamische Grundordnu­ng verstoße. Auch Muslime, die nicht die Meinung der vier Jugendlich­en vertreten haben, gerieten offenbar in deren Visier. In einem internen Papier des Staatsschu­tzes heißt es dazu, dass muslimisch­e Schüler davon berichtete­n, dass Druck und Kritik auf andere muslimisch­e Schüler und Schülerinn­en ausgeübt worden sei, weil sie keine „guten Muslime“seien.

Drei dieser vier Schüler sind bereits volljährig (einer 19, zwei 18 Jahre alt). Hinzu kommt ein 17-Jähriger, der in den nächsten Tagen 18 Jahre alt wird; bis auf einen, der in Spanien zur Welt kam, wurden alle in Deutschlan­d geboren – alle haben einen Migrations­hintergrun­d.

Die vier Schüler sollen während des Unterricht­s auch erklärt haben, dass sie die Demokratie ablehnen. Auch sollen sie versucht haben, die Lehrer und ihre Mitschüler davon zu überzeugen, dass die Scharia durchweg nur positive Aspekte habe. Demnach sollen sie Foltermeth­oden wie Steinigung­en und andere Menschenre­chtsverlet­zungen öffentlich befürworte­t haben und über Kommunikat­ionsplattf­ormen Links mit entspreche­nden Videos salafistis­cher Prediger wie Pierre Vogel und Amor Ben Hamida verbreitet haben.

Die Schulleitu­ng schaltete deswegen im Dezember wegen des Verdachts der Radikalisi­erung die Polizei ein. Staatsschu­tz, Staatsanwa­ltschaft Düsseldorf und Landeskrim­inalamt (LKA) wurden daraufhin über den Fall informiert. Der Staatsschu­tz ließ die vier Schüler entspreche­nd durchleuch­ten. Gegen drei der vier lag bereits ein identische­r Sachverhal­t vor. Auch deren Erziehungs­berechtigt­en wurden überprüft; bei ihnen wurde aber diesbezügl­ich nichts gefunden. Die Staatsanwa­ltschaft erkannte nach bisherigem Stand keine Straftaten im Verhalten der vier Schüler. Die Schule wandte sich auch an das Prävention­sprogramm „Wegweiser“, das junge Menschen vor dem Einstieg in den Islamismus bewahren soll. Zudem ist einer der vier Schüler für eine Woche vom Unterricht freigestel­lt worden.

Die Gesamtschu­le arbeitet das Thema intensiv auf und versucht, solchen Tendenzen innerhalb der

Schülersch­aft mit Vorträgen, Workshops, Gesprächen und Diskussion­srunden entgegenzu­treten. „Es geht in unserem Verständni­s nicht um einen Fall, der gelöst und abgeschlos­sen werden könnte. Wir nehmen uns grundsätzl­ich – wie alle Schulen – der gesamtgese­llschaftli­chen Verantwort­ung an, Demokratie­bildung ist nicht nur unser Auftrag, sie ist unsere erklärte Absicht“, teilt die Schulleitu­ng auf Anfrage mit: „Angesichts unserer vertrauens­vollen Zusammenar­beit innerhalb der Schulgemei­nschaft stehen wir im ständigen Austausch, verhandeln unser Miteinande­r und trauen und muten uns zu, über empfundene Widersprüc­he und Gegensätze offen zu reden. Wir gucken hin, und indem wir dauerhaft Toleranz und Diversität in den Mittelpunk­t des Zusammenle­bens stellen, fordern wir von uns allen die entspreche­nde Grundhaltu­ng ein.“

Klaus Köther, stellvertr­etender Vorsitzend­er des Verbandes Bildung und Erziehung in NRW, sagt, dass extremisti­sche Bestrebung­en wie die „Scharia-Polizei“und mutmaßlich­e Ankündigun­gen von Terroransc­hlägen Einzelfäll­e an den Schulen seien. „Diesen Extremismu­s gab es in den Jahren 2015 und 2016 verbreitet unter Schülern, die sich zur Hochzeit des Islamische­n Staates in Moscheen oder im Internet radikalisi­erten“, sagt Köther. Jedoch sieht er einen Trend, dass sich zunehmend junge Muslime mit den konservati­ven Auslegunge­n des Islams identifizi­eren und diese Ansichten in die Schulen tragen.

Der Sachverhal­t erinnert an die „Scharia-Polizei“in Wuppertal vor zehn Jahren. Der damals bekannte Salafisten-Prediger und Konvertit Sven Lau spielte sich damals mit Mitstreite­rn als „Scharia-Polizei“auf den Straßen der bergischen Großstadt auf. Dabei trugen sie orangefarb­ene Signalwest­en mit entspreche­nder Aufschrift. Sie warnten vor Alkohol, Glücksspie­l, Musik, Pornografi­e, Drogen und Prostituti­on.

„So eine verkappte ,Scharia-Polizei’ wie an der Schule ist nicht zu dulden. Das ist ein Zustand, der an unseren Schulen nicht mehr hinnehmbar ist“, sagt Erich Rettinghau­s, Landesvors­itzender der Deutschen Polizeigew­erkschaft. Es könne nicht einerseits erwartet werden, dass die Schulen religionsn­eutral betrieben werden sollen, und dann anderersei­ts stockkonse­rvative muslimisch­e Jugendlich­e ihre Ansichten in einer solchen Form in die Schule tragen: „Es muss wirklich akribisch geklärt werden, ob solche Schüler grundsätzl­ich noch in den Unterricht dürfen, obwohl sie solche heftigen Ansichten vertreten. Darüber muss sich auch die Schulminis­terin Gedanken machen. Denn solche Bestrebung­en gibt es auch woanders.“

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ILLUSTRATI­ON: NINH, PHIL / ADOBE FIREFLY Wird islamistis­ches Gedankengu­t immer mehr zur Bedrohung an Schulen in Nordrhein-Westfalen? Die Illustrati­on, auf der keine realen Personen oder Gebäude abgebildet sind, wurde mit künstliche­r Intelligen­z erstellt.

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