Schüler traten als „Scharia-Polizei“auf
Geschlechtertrennung, Verschleierungen von Frauen und Befürwortung von Folter: Vier junge Männer wollten strenge islamistische Regeln an ihrer Neusser Gesamtschule durchsetzen. Jetzt befasst sich der Staatsschutz mit dem Fall.
NEUSS Die Vorkommnisse, die sich an einer Gesamtschule im RheinKreis Neuss zugetragen haben sollen, erinnern an die „SchariaPolizei“, eine islamistische Religionspolizei, die strenge Verhaltensvorschriften durchsetzt. Nach Informationen unserer Redaktion aus Sicherheitskreisen sollen sich vier Oberstufenschüler innerhalb der Schule für die Scharia ausgesprochen und massiven Druck auf muslimische Mitschüler ausgeübt haben, die anderer Meinung gewesen sind.
Demnach forderten die „Scharia-Schüler“von Lehrern und Mitschülern, dass sich alle Frauen an der Schule zu bedecken haben, sowie eine allgemeine Geschlechtertrennung innerhalb der Schule und eine explizite Geschlechtertrennung beim Schwimmunterricht – auch bei den Lehrern. Darüber hinaus sollten sie freitags zur Gebetszeit die Schule früher verlassen dürfen; des Weiteren forderten sie die Einrichtung eines Gebetsraums im Schulgebäude.
Unsere Recherchen ergaben weiter, dass sich in einem Klassenchat einige Schüler dafür ausgesprochen haben sollen, die Chatgruppe nach Geschlechtern zu trennen, weil die Geschlechtermischung gegen die islamische Grundordnung verstoße. Auch Muslime, die nicht die Meinung der vier Jugendlichen vertreten haben, gerieten offenbar in deren Visier. In einem internen Papier des Staatsschutzes heißt es dazu, dass muslimische Schüler davon berichteten, dass Druck und Kritik auf andere muslimische Schüler und Schülerinnen ausgeübt worden sei, weil sie keine „guten Muslime“seien.
Drei dieser vier Schüler sind bereits volljährig (einer 19, zwei 18 Jahre alt). Hinzu kommt ein 17-Jähriger, der in den nächsten Tagen 18 Jahre alt wird; bis auf einen, der in Spanien zur Welt kam, wurden alle in Deutschland geboren – alle haben einen Migrationshintergrund.
Die vier Schüler sollen während des Unterrichts auch erklärt haben, dass sie die Demokratie ablehnen. Auch sollen sie versucht haben, die Lehrer und ihre Mitschüler davon zu überzeugen, dass die Scharia durchweg nur positive Aspekte habe. Demnach sollen sie Foltermethoden wie Steinigungen und andere Menschenrechtsverletzungen öffentlich befürwortet haben und über Kommunikationsplattformen Links mit entsprechenden Videos salafistischer Prediger wie Pierre Vogel und Amor Ben Hamida verbreitet haben.
Die Schulleitung schaltete deswegen im Dezember wegen des Verdachts der Radikalisierung die Polizei ein. Staatsschutz, Staatsanwaltschaft Düsseldorf und Landeskriminalamt (LKA) wurden daraufhin über den Fall informiert. Der Staatsschutz ließ die vier Schüler entsprechend durchleuchten. Gegen drei der vier lag bereits ein identischer Sachverhalt vor. Auch deren Erziehungsberechtigten wurden überprüft; bei ihnen wurde aber diesbezüglich nichts gefunden. Die Staatsanwaltschaft erkannte nach bisherigem Stand keine Straftaten im Verhalten der vier Schüler. Die Schule wandte sich auch an das Präventionsprogramm „Wegweiser“, das junge Menschen vor dem Einstieg in den Islamismus bewahren soll. Zudem ist einer der vier Schüler für eine Woche vom Unterricht freigestellt worden.
Die Gesamtschule arbeitet das Thema intensiv auf und versucht, solchen Tendenzen innerhalb der
Schülerschaft mit Vorträgen, Workshops, Gesprächen und Diskussionsrunden entgegenzutreten. „Es geht in unserem Verständnis nicht um einen Fall, der gelöst und abgeschlossen werden könnte. Wir nehmen uns grundsätzlich – wie alle Schulen – der gesamtgesellschaftlichen Verantwortung an, Demokratiebildung ist nicht nur unser Auftrag, sie ist unsere erklärte Absicht“, teilt die Schulleitung auf Anfrage mit: „Angesichts unserer vertrauensvollen Zusammenarbeit innerhalb der Schulgemeinschaft stehen wir im ständigen Austausch, verhandeln unser Miteinander und trauen und muten uns zu, über empfundene Widersprüche und Gegensätze offen zu reden. Wir gucken hin, und indem wir dauerhaft Toleranz und Diversität in den Mittelpunkt des Zusammenlebens stellen, fordern wir von uns allen die entsprechende Grundhaltung ein.“
Klaus Köther, stellvertretender Vorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung in NRW, sagt, dass extremistische Bestrebungen wie die „Scharia-Polizei“und mutmaßliche Ankündigungen von Terroranschlägen Einzelfälle an den Schulen seien. „Diesen Extremismus gab es in den Jahren 2015 und 2016 verbreitet unter Schülern, die sich zur Hochzeit des Islamischen Staates in Moscheen oder im Internet radikalisierten“, sagt Köther. Jedoch sieht er einen Trend, dass sich zunehmend junge Muslime mit den konservativen Auslegungen des Islams identifizieren und diese Ansichten in die Schulen tragen.
Der Sachverhalt erinnert an die „Scharia-Polizei“in Wuppertal vor zehn Jahren. Der damals bekannte Salafisten-Prediger und Konvertit Sven Lau spielte sich damals mit Mitstreitern als „Scharia-Polizei“auf den Straßen der bergischen Großstadt auf. Dabei trugen sie orangefarbene Signalwesten mit entsprechender Aufschrift. Sie warnten vor Alkohol, Glücksspiel, Musik, Pornografie, Drogen und Prostitution.
„So eine verkappte ,Scharia-Polizei’ wie an der Schule ist nicht zu dulden. Das ist ein Zustand, der an unseren Schulen nicht mehr hinnehmbar ist“, sagt Erich Rettinghaus, Landesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft. Es könne nicht einerseits erwartet werden, dass die Schulen religionsneutral betrieben werden sollen, und dann andererseits stockkonservative muslimische Jugendliche ihre Ansichten in einer solchen Form in die Schule tragen: „Es muss wirklich akribisch geklärt werden, ob solche Schüler grundsätzlich noch in den Unterricht dürfen, obwohl sie solche heftigen Ansichten vertreten. Darüber muss sich auch die Schulministerin Gedanken machen. Denn solche Bestrebungen gibt es auch woanders.“