In Hamburg geboren: Otto Penzler wird in New York zum König der Krimis
KARRIERE Der Buch-Experte hat seine Faszinationn für Sherlock Holmes zu einem Imperium ausgebau t
Alles begann mit Sherlock Holmes. Nach einem Studium unter anderem der englischen Literatur kam Otto Penzler Ende der 60er Jahre nach New York. „Ich liebe Lesen und ich wollte weiterhin lesen – aber ich wollte auch, dass mein Kopf nicht mehr so wehtut. Also dachte ich: Mystery.“Penzler kauft sich die gesammelten Werke von Arthur Conan Doyle über den Detektiv Sherlock Holmes. „Ich erinnere mich daran, wie sehr ich die Bücher geliebt habe“, sagt der heute 81-Jährige. „Ich hatte Gänsehaut, es war unvergesslich.“
Rund ein halbes Jahrhundert später hat der in Hamburg geborene Penzler seine Sherlock-Holmes-Faszination zu einem Krimi-Imperium ausgebaut: Mit rund einem halben Dutzend Verlagen veröffentlicht er Bücher rund um Mystery, Thriller, Krimi, Detektive und Spionage und ist zudem selbst Autor hochgelobter Fachliteratur.
Seit 1979 führt er den größten und ältesten KrimiBuchladen der Welt, den „Mysterious Bookshop“in Manhattan. Rund 20.000 Bücher befänden sich hier alleine im Hauptverkaufsraum, sagt Penzler. Alle alphabetisch geordnet. „Ich bin deutsch. Chaos gibt es bei mir nicht.“
1942 wurde Penzler in Hamburg geboren, als Sohn einer amerikanischen Mutter und eines deutschen Vaters. Der Vater war Soldat und starb im Krieg, die Mutter versuchte verzweifelt, mit Penzler und seinem jüngeren Bruder aus den Bomben heraus zurück nach
New York zu fliehen, was ihnen erst 1947 gelang. „Das sind meine ersten Erinnerungen – dieses Schiff und der Speisesaal und das Essen, so viel Essen. In Deutschland hatten wir immer Hunger. Meine Mutter hat in ihrer Verzweiflung sogar Baumrinde gekocht.“Als die Freiheitsstatue am Horizont erscheint, weinen Penzler, seine Mutter und sein Bruder vor Erleichterung. Heute spüre er keine besondere Verbindung mehr zu Deutschland, sagt Penzler. Auch die Sprache spreche er nicht mehr, nur „Wiener Schnitzel“und „Ich liebe dich“.
Aus der Ferne aber sieht Penzler die Krimi-Begeisterung der Deutschen, mit Millionen-Einschaltquoten für den „Tatort“etwa und Krimis auf den Bestsellerlisten. „In Deutschland ist das ein relativ neues Phänomen. Detektivromane können nur in freien Gesellschaften Erfolg haben. Wenn hier in Amerika ein Verbrechen geschieht, dann rufen wir die Polizei. Aber etwa in Nazi-Deutschland oder der Sowjetunion? Da gehörten Polizisten zu den Menschen, vor denen viele am meisten Angst hatten.“Mit dem „Tatort“bestätigten die Deutschen also quasi jeden Sonntag – zumindest unterbewusst – ihr Vertrauen in die staatlichen Institutionen, sagt Penzler. Zudem befriedigten Mystery und Krimi ein Bedürfnis nach Struktur und Normalität. „Ja, es gibt oft einen Mord. Aber anders als im echten Leben wird der Böse so gut wie immer gefunden und bestraft. Die Normalität wird wiederhergestellt“. Krimis seien also eine Art
„Märchen für Erwachsene“. Sein New Yorker Buchladen laufe seit dem Ende der Corona-Pandemie inzwischen wieder sehr gut, sagt Penzler. Immer mal wieder verkaufe er ein teures antiquarisches Stück, wie zuletzt eine Erstausgabe von Edgar Allen Poe für 25.000 Dollar. Anfängern des Genres empfiehlt er die Sherlock-Holmes-Gesamtausgabe, die ihn damals selbst so begeisterte, außerdem Agatha Christie, Raymond Chandler, Dashiell Hammett und Michael Connelly sowie sein absolutes Lieblingsbuch: den 1860 erschienenen Roman „Die Frau in Weiß“des britischen Schriftstellers Wilkie Collins. „Das ist einfach ein brillantes Buch, Krimi und Romantik, wunderbare Charaktere.“
Er selbst lese inzwischen fast nur noch Manuskripte, sagt der 81-Jährige, der mehrfach verheiratet war, keine Kinder hat und den Laden eines Tages seinen Angestellten überlassen will. „Da bin ich ein bisschen langsamer geworden. Ich konnte früher ein Buch pro Tag lesen, aber das kann ich nicht mehr.“Jeden Tag kommt Penzler in sein Büro im Keller der Buchhandlung und ist bei jeder Autorenlesung im Laden dabei. „Ich verbringe sehr gerne Zeit mit Autoren. Als Verleger und Buchverkäufer bewundere ich, was Autoren können. Denn ein Buch zu schreiben, sogar ein schlechtes, ist schwer. Es ist sehr schwer.“
Das Genre befinde sich derzeit aber in einem „goldenen Zeitalter“, sagt der Experte. „Früher ging es bei Mystery hauptsächlich um die Rätsel. Aber heute schreiben die Autoren über ihre Charaktere auf sehr viel glaubhaftere und tiefere literarische
Art und Weise.“
Er glaube fest an die Zukunft der Branche, sagt Penzler. Neuerungen wie künstliche Intelligenz bereiteten ihm keine Sorgen. Er wolle einfach so weitermachen wie bisher – so lange es möglich sei. „Warum sollte ich in Rente gehen? Um Golf zu lernen? Ich werde in Rente gehen, wenn sie den Stift aus meiner kalten, toten Hand herausziehen.“
Ein Buch zu schreiben, sogar ein schlechtes, ist schwer. Es ist sehr schwer. Otto Penzler