Die schlimmen Folgen eines bizarren Feuerwehr-Streits
KREIS SEGEBERG Für die Bekämpfung eines Großfeuers wurde ein Leiterwagen benötigt – den gäbe es im Nachbarort. Warum wurde er nicht angefordert?
RÜDIGER GAERTNER
Stellen Sie sich vor, Ihr Haus droht abzubrennen: Sie rufen die Feuerwehr, die Retter kommen auch – aber statt mit allem verfügbaren Material das Feuer zu bekämpfen, wird ein Leiterwagen aus einem 15 Kilometer entfernten Ort gerufen, anstatt den aus dem Dorf nebenan zu nehmen. Und während alle auf Ankunft des Löschfahrzeugs warten, brennt Ihr Haus lichterloh. Unvorstellbar? Leider nicht, denn genau das ist am Freitag einer Familie im Kreis Segeberg passiert.
Die Bewohner der 1500-Seelen-Gemeinde
Oering sind stolz auf ihre Freiwillige Feuerwehr. Doch nachdem die Nachbarwehr sich 2022 eine Drehleiter zugelegt hatte, begann es in Oering zu rumoren. Der Oeringer Feuerwehrweigert sich beharrlich, deren nur rund vier Kilometer entfernt stationierten Leiterwagen anzufordern. Stattdessen greift er lieber auf die Wagen im 15 Kilometer entfernten Kaltenkirchen oder die noch weiter entfernt stehenden in Norderstedt zurück. Dabei arbeiteten die freiwilligen Wehren im Kreis Segeberg immer Hand in Hand. Wurde Verstärkung gebraucht, forderte man die Kameraden aus den umliegenden Gemeinden an: „Gott zur Ehr’, dem Nächsten zur Wehr.“Um Kräfte zu bündeln, legten die Gemeinden Itzstedt und Nahe zusammen und schafften vor mehreren Jahren eine Drehleiter an, die auch anderen Wehren zur Verfügung stehen sollte. Sehr zum Ärger von Oerings Feuerwehr-Chef Maik Grell. Er weigerte sich vehement, die Drehleiter aus dem Nachbarort
bei Einsätzen anzufordern. Seine Position als Gemeindebrandmeister ermöglicht ihm, selbst zu entscheiden, welche Kräfte aus welchen Ortschaften er nachalarmiert. Darauf beruft sich auch Oerings Bürgermeister Bodo Nagel und will seinen Feuerwehr-Chef nicht in seinen Entscheidungen beschneiden. Dabei müsste der ehemalige Leiter der Kaltenkirchener Polizei wissen, wie wichtig es ist, dass Einsatzkräfte und Spezialfahrzeuge so schnell wie möglich an den Einsatzorten sind. Im Kreisfeuerwehrverband ist man sich der Problematik bewusst, will sich dazu aber nicht äußern. Am vergangenen Freitag kam es in Oering zur Katastrophe. Ein Großschuppen brannte, die Flammen griffen bereits auf ein Wohnhaus über. Grell weigerte sich, die Drehleiter aus dem nur vier Kilometer entfernten Itzstedt zur Unterstützung anzufordern. Stattdessen ließ er den Leiterwagen aus Kaltenkirchen anrücken. Anfahrt: rund 15 Minuten. Und
es dauerte weitere kostbare Zeit, die Drehleiter am Einsatzort in Stellung zu bringen.
Ziel war es, von der Drehleiter aus eine Wasserwand (Riegelstellung) zwischen brennendem Schuppen und Wohnhaus aufzubauen, um ein Übergreifen der Flammen zu verhindern. Doch das Feuer erfasste das Haus, bevor die Drehleiter aus Kaltenkirchen nach gut 20 Minuten am Einsatzort eintraf. Währenddessen saßen die Feuerwehrleute aus Itzstedt tatenlos zu Hause. Sie waren nicht gerufen worden. Martin Stapel (42), der Bewohner des Hauses, das von den Flammen erfasst wurde, ist fassungslos. Er und seine
Familie haben bei dem Brand alles verloren. Versichert waren sie nicht. „In der Corona-Zeit mussten meine Frau und ich sparen und die Versicherung kündigen, wir beide hatten Einnahmeverluste. Als wir uns dann neu versichern lassen wollten, war die Prämie ins Unermessliche gestiegen. Zu viel für uns.“Vorwürfe gibt es auch von Bewohnern aus den umliegenden Gemeinden und sogar aus Oering selbst. Keiner kann nachvollziehen, warum Grell sich so vehement weigert, die Drehleiter aus Itzstedt einzusetzen. Wegen des Brandes am Freitag wird ihm und Bürgermeister Nagel Organisationsverschulden vorgeworfen. Sollten Ermittlungen
der Polizei ergeben, dass das Ausmaß des Brandes durch einen raschen Drehleitereinsatz hätte minimiert werden können, haften beide persönlich.
Auf MOPO-Nachfrage zu dem Konflikt beim Kreisfeuerwehrverband Segeberg wollte man sich nicht äußern. „Zu allen Geschehnissen bzw. den getroffenen Entscheidungen kontaktieren Sie bitte die FF Oering, Herrn Gemeindewehrführer Grell als Einsatzleiter.“Eine Reaktion, die nicht überrascht. Weitere Institutionen, die die MOPO kontaktierte, reagierten fast genauso. Die Polizei kann auf MOPO-Nachfrage noch keine Angaben zum Sachverhalt machen.