Hamburger Morgenpost

Die Aktivistin mit der Kamera

MARILY STROUX Die heute 73-Jährige begleitete über ein Jahrzehnt Leben und Alltag in den Hafenstraß­en-Häusern. Jetzt hat sie ein Buch dazu veröffentl­icht

- OLAF WUNDER olaf.wunder@mopo.de

Diese Frau ist eine Überzeugun­gstäterin. Eine Fotografin, die nicht nur dokumentie­rt, nicht nur abbildet, was sie sieht, nein. Marily Stroux ist eine fotografis­che Aktivistin, eine, die Position bezieht, Partei ergreift – was zur Folge hatte, dass sie als angeblich „bedeutende Person innerhalb der linksextre­mistischen Szene“fast 30 Jahre vom Verfassung­sschutz überwacht wurde.

Nun hat Marily Stroux einen Bildband herausgebr­acht – und die besten Fotos daraus zeigen wir auf diesen vier Seiten. Das Buch trägt den Titel „Wir werden noch tanzen“. Es beschäftig­t sich mit Leben und Alltag in der Hafenstraß­e von 1983 bis 1995. Ganz bewusst verzichtet Stroux dabei auf die ausführliche Darstellun­g gewaltsame­r Auseinande­rsetzungen mit der Polizei – davon gab’s ermüdend viele ... Vielmehr zeigt das Buch einen ganz persönlich­en Blick auf das, was die Dokumentar­istin in der Hafenstraß­e begeistert, gerührt und wütend gemacht hat – Momentaufn­ahmen eines in der Realität erprobten Traums von einem anderen Leben.

Marily Stroux ist Griechin, stammt aus einer gutbürgerlichen Familie, wuchs im noblen Athener Vorort Psychiko auf und besuchte eine Elite-Mädchensch­ule. Ihr Vater war Journalist, ab 1954 Pressechef und engster Mitarbeite­r des damaligen Ministerpr­äsidenten (und späteren Staatspräs­identen) Konstantin­os Karamanlis. Nach dem Militärput­sch 1967 verließ die Familie Griechenla­nd und siedelte in die Schweiz über, wo Marily als Flugbeglei­terin arbeitete und nebenbei mit dem Fotografie­ren anfing. Damals war sie noch, wie sie selbst sagt, eine ziemlich unpolitisc­he junge Frau. Das änderte sich erst in Hamburg, wohin sie 1978 der Liebe wegen kam. Sie heiratete den Theaterreg­isseur Stephan Stroux. Im selben

Jahr kam Tochter Salinia zur Welt. „Es war die Zeit der Pershing-II-Raketen und von Tschernoby­l, als ich mir darüber Gedanken zu machen begann, in was für einer Welt mein Kind aufwächst. Ich schloss mich der Anti-AKWBewegun­g an und da ich kaum Deutsch sprach, nutzte ich die Fotografie, um mich auszudrücken.“Marily Stroux lernte Günter Zint kennen, einen berühmten Hamburger Pressefoto­grafen, und arbeitete mit ihm in dessen Agentur „Panfoto“zusammen. „Von Günter habe ich gelernt, meine Arbeit mit einem politische­n Blick zu umhüllen und die eigene Perspektiv­e sichtbar zu machen. Auch wenn meine Mutter sich gewünscht hätte, ich würde Blumen und Kinder fotografie­ren, standen die sozialen

Themen im Mittelpunk­t meiner Arbeit.“

So war es beinahe logisch, dass Marily Stroux auf die Besetzer der Hafenstraß­e stieß. Gleich zu Beginn luden die Bewohner sie ein, Leben und Arbeiten in den Hafenstraß­en-Häusern mit ihrer Kamera zu dokumentie­ren. Das tat sie und blieb. Sie verstand sich fortan als Teil des Projekts und begann die Realität, wie sie sie wahrnahm, mit der Kamera festzuhalt­en. Kein anderer Fotograf war so nah dran wie sie.

Auch heute noch, inzwischen 73 Jahre alt, ist Marily Stroux eine engagierte Fotografin und Aktivistin. Sie lebt in Hamburg und auf Lesbos und beschäftig­t sich in erster Linie mit der Flüchtlingsfr­age. Zuletzt veröffentl­ichte sie den Kurzfilm „The Olive Tree“über Flüchtlinge, die auf Lesbos stranden. 2017 brachte sie das Buch „Shooting Back“heraus h – eine fotorafisc­he Antwort uf ihre 28-jährige eobachtung durch en Verfassung­sschutz.

➤ „Wir werden noch tanzen – Leben und Alltag in der Hafenstraß­e 1983-1995.“Fotos von Marily Stroux mit Texten von Monika Sigmund, Simone Beate Borgstede und Claus Petersen. 144 Seiten, ca. 200 Farbund S/W-Abbildunge­n, Hardcover, Junius-Verlag, 34 Euro

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Der Linken-Politiker Gregor Gysi besucht 1990 die Hafenstraß­enHäuser.
Marily Stroux hat nun ein Buch über Leben und Alltag in der Hafenstraß­e veröffentl­icht: „Wir werden noch tanzen“, so der Titel.
Keiner war bei den jahrelange­n Konflikten um die Hafenstraß­e näher dran als sie: Fotografin und Aktivistin Marily Stroux. Der Linken-Politiker Gregor Gysi besucht 1990 die Hafenstraß­enHäuser. Marily Stroux hat nun ein Buch über Leben und Alltag in der Hafenstraß­e veröffentl­icht: „Wir werden noch tanzen“, so der Titel.
 ?? ?? Die Dächer sind ein Rückzugsor­t: Dort wird gefeiert oder der Sonnenunte­rgang angeschaut.
Die Dächer sind ein Rückzugsor­t: Dort wird gefeiert oder der Sonnenunte­rgang angeschaut.
 ?? ?? Der Mann mit der Sturmhaube ist heute sehr berühmt: Daniel Richter, einer der wichtigste­n deutschen Maler überhaupt. Damals hält er Wache vor einer Barrikade.
Der Mann mit der Sturmhaube ist heute sehr berühmt: Daniel Richter, einer der wichtigste­n deutschen Maler überhaupt. Damals hält er Wache vor einer Barrikade.
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Diese alte Dame mischte bei jeder Demo mit: Hier schreit sie einen Polizisten an.
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November 1987: Die Hafenstraß­enBewohner haben auf der Straße Barrikaden errichtet.
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Die Polizei hat bei einer Räumung Tränengas versprüht. Einer der Bewohner hat sich deshalb eine Gasmaske aufgesetzt.
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Eine brennende Barrikade aus Reifen vor den Hafenstraß­enHäusern
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Einer der Hausbesetz­er seilt sich ab und besprüht die Mauer.
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Während einer Räumung: Sogar die Türen wurden rausgeriss­en, damit die Bewohner nicht in die Häuser zurückkehr­en.
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