»Das Loslassen war ein Prozess«
Die Triathletin ANJA RENNER, 38, ist erst seit eineinhalb Jahren im Parasport aktiv. Ihre unheilbare Augenerkrankung hat sie viele Jahre lang ignoriert. Bis es nicht mehr ging
Vor zwölf Jahren bekam ich die Diagnose: Retinitis Pigmentosa – eine fortschreitende Augenerkrankung, bei der sich das Gesichtsfeld immer weiter verkleinert. Die Ärzte sagten mir, dass ich erblinden werde. In Kombination mit meiner angeborenen Schwerhörigkeit nennt sich das Usher-syndrom. Ich habe die Diagnose zunächst ignoriert und weitergelebt wie davor, obwohl mein Sehwinkel schon eingeschränkt war.
Damals trainierte ich für den Triathlon, inspiriert durch meinen Ehemann. Als ich ihn vor sieben Jahren kennenlernte, war ich keine Couchpotato, aber ich verbrachte meine Zeit lieber mit Freunden als auf dem Sportplatz. Er lief Langdistanzrennen und trat sogar beim Ironman an. Mit einer Sportskanone neben mir wollte ich nicht als unsportlich gelten. Also fing ich an, für den Triathlon zu trainieren. Von null auf hundert alle drei Disziplinen.
Tatsächlich wurde ich rasch besser und professioneller. Mein Ziel war der Ironman auf Hawaii. Doch erst kamen Verletzungen dazwischen und dann wurden viele Wettkämpfe coronabedingt abgesagt. Parallel dazu verschlechterten sich meine Augen. Ich habe lange an mir als Individualsportlerin festgehalten. Das Loslassen war ein Prozess. Nach einem Besuch beim Augenarzt war klar: Als Triathletin werde ich im Parasport antreten müssen – oder gar nicht. Noch auf der Rückfahrt vom Arzt setze ich mir ein neues Ziel: die Paralympics. Zu dem Zeitpunkt waren die Weltspiele nur noch eineinhalb Jahre entfernt.
Heute mache ich meine Rennen mit einem Guide. Ohne geht es nicht mehr, vor allem nicht auf dem Rad. Ich sehe ungefähr ein Zehntel vom normalen Gesichtsfeld, als hätte man zwei Klopapierrollen vor den Augen. In Paris werde ich mit meiner Hauptguide Maria Paulig antreten. Beim Schwimmen und Laufen sind wir aneinandergebunden. Die Radstrecke fahren wir auf einem Tandem. Wenn wir einen Supersahnetag erwischen, könnte es mit Gold klappen. Ein Platz auf dem Treppchen ist auf jeden Fall drin.