Ausgebeutet
Dubiose Jobvermittler auf dem Betreuungsmarkt nutzen die Unkenntnis osteuropäischer Betreuerinnen aus
Wioletta Szala schaffte es von der Verwaltungsangestellten in Oberschlesien zur „zertifizierten Betreuungskraft“in einer Woche. So lange dauerte der Blitzlehrgang, in dem sie auf ihren Einsatz in Deutschland vorbereitet wurde. 2018 heuerte sie bei einer Vermittlungsagentur an. Heute ist sie froh, den Ausstieg geschafft zu haben.
Schon der Einstieg in den Job war hanebüchen. Als Gegenleistung für den Kurs in Seniorenpflege und Haushaltsführung musste sich Szala verpflichten, im Anschluss für mindestens drei Monate eine Stelle anzunehmen. Die Vertragsstrafe, falls sie es sich anders überlegen sollte: 3000 Zloty, knapp 700 Euro. Für jemanden, der in Polen wenige Hundert Euro im Monat verdient, eine Menge Geld. Zudem ließ sich die Agentur Pronobel für diesen Fall die Erstattung der Schulungskosten zusichern und verlangte einen Blankoscheck von ihr.
Erst wurden ihr 800 Euro pro Monat zugesagt, später 1200 Euro. Nur ein kleiner Teil wurde offensichtlich als sozialversicherungspflichtiger Lohn gezahlt. Die Rentenbeiträge errechnete die Firma aus sehr bescheidenen Beträgen. Für Szala bedeutet das niedrigere Rentenzahlungen im Alter.
Keine Arbeitnehmerrechte
Nach einer Reihe kritischer Medienberichte über die Agentur und einer Razzia wurde es ruhig um die Firma. Hartmut Drewes, dessen Mutter Szala ab 2020 betreute, erhielt im Mai 2021 eine Mail. Sein Vertragspartner ändere sich, hieß es da. Ein neuer Vertrag mit der Agentur Bonviro legt fest, dass
„der Auftraggeber (die Kunden) keinen direkten Einfluss auf Art und Weise der zu erledigenden Aufgaben“nehme, dass er „weder Dienst- noch Freizeitpläne“erstelle und „kein Direktionsrecht“ausübe.
Keine Weisungsbefugnis? Kein Dienstplan? Und das in einem Privathaushalt, der darauf angewiesen ist, dass ein pflegebedürftiger Mensch zuverlässig betreut wird?
Die Formulierungen werden von vielen polnischen Agenturen verwendet, die Beschäftigte nach Deutschland „entsenden“. In den Verträgen wird so getan, als würden die Betreuerinnen selbstständig arbeiten. Der Hintergrund: Als freie Mitarbeiterinnen unterliegen die Frauen nicht den Arbeitszeitregelungen und dem Mindestlohn – so sehen es jedenfalls die Agenturen.
Den Absprung schaffte Szala während Corona. Weil die Grenze nach Polen zeitweise geschlossen war, blieb sie länger als geplant bei Drewes – und verliebte sich in ihn. Heute sind die beiden verheiratet. Ein Happy End, nur nicht für die Agentur, der eine geldwerte Kundenbeziehung verloren ging. Sie drohte Hartmut Drewes mit einer Vertragsstrafe. Später musste sich Wioletta Szala mit einer Verleumdungsklage herumschlagen, weil sie in einem sozialen Netzwerk andere Polinnen warnte.
Flüchtlinge in prekären Jobs
Besonders heikel ist die Situation von ukrainischen Betreuungskräften, die oft kein Deutsch sprechen. Übel mitgespielt wurde etwa Kateryna S., die aus Sumy im Nordosten der Ukraine stammt. Nach Kriegsbeginn erreichte sie eine Nachricht per WhatsApp aus Frankfurt am Main: Sie könne in einer Wohnung mit einer bettlägerigen Seniorin wohnen, die rund um die Uhr Betreuung brauche. Der zehnjährige Sohn dürfe mitkommen.
Kateryna kam nach Deutschland und landete in einer Art moderner Gefangenschaft. Ihr Auftraggeber habe das vereinbarte Honorar gekürzt, berichtet sie. Zudem musste sie ihm eine Vollmacht für den Empfang ihres Bürgergeldes geben. Überprüfen lassen sich die Angaben nicht. Allerdings berichtet auch Monika Fijarczyk vom „Beratungszentrum für Migration und gute Arbeit“über die prekäre Lage ukrainischer Betreuerinnen. „Einerseits sind sie wegen ihres Flüchtlingsstatus geschützt“, so die Expertin. „Andererseits finden sie nur sehr schwer eigene Wohnungen.“
Notgedrungen bleiben viele in unzumutbaren Jobs, ermöglichen gebrechlichen Menschen einen Lebensabend in Würde. Dass ihre eigene Würde dabei wenig zählt, nehmen sie in Kauf. ■