Ein fragwürdiges Staatsgeschenk
Es fühlt sich noch immer an wie Schwarzfahren: Der Freizeit-Trip von Hamburg nach Wismar ist dank des ohnehin vorhandenen Deutschland-Tickets quasi kostenlos. Ohne die 49-Euro-Monatskarte würde der Ausflug dagegen 75,20 Euro kosten, das Monats-Abo sogar 284,20 Euro. Der Spareffekt ist also groß. Aber insgeheim spürt jeder Nutzer: Besonders nachhaltig kann das Billig-Ticket nicht sein – zumindest nicht finanziell. Drei Milliarden Euro Steuergeld fließen bislang jährlich in das Angebot. Kein Wunder, dass die Bundesländer die Karte teurer machen wollen. Unklar ist noch, um wie viel. Das subventionierte Ticket selbst steht offenbar gar nicht mehr zur Disposition. Einmal eingeführt, ist es schwer, ein scheinbares Staatsgeschenk wieder abzuschaffen – obschon es letztlich die Steuerzahler selbst sind, die es bezahlen. Es hat sich ein Prinzip eingeschlichen: Als Kompensation für hohe Steuern und Sozialabgaben erhält die Mittelschicht kleine Goodies, die unabhängig von Bedürftigkeit ausgeschüttet werden – Deutschlandticket, Elterngeld, Energieberater-Förderung und Krankenkassen-Zuschuss zur Zahnreinigung.
Welch seltsame Ausmaße das angenommen hat, zeigt der Blick von außen: Die amerikanische Wirtschaftszeitung „Wall Street Journal“bestaunte am Wochenende bei einem Besuch in Görlitz, wie viele Milliarden Euro im wiedervereinigten Deutschland in Kindergeld, Umschulungen, Stadtsanierung und kostenlose Studienplätze wandern – und wie wenig beispielsweise für Verteidigung übrigbleibt. „Es war einfach, Gewehre gegen Butter einzutauschen. Den Trend umzudrehen ist weitaus herausfordernder“, schließen die US-Korrespondenten.
Man muss kein Fan von Aufrüstung sein, um Wohltaten mit der Gießkanne anzuzweifeln. Besserverdiener hätten mehr von zuverlässigerer Kinderbetreuung als vom Kindergeld. Und Privathochschulen beweisen, dass auch kostenpflichtige Studiengänge Zulauf erfahren, wenn sie eine gute Perspektive versprechen. Die kleinen Geschenke hingegen sind teuer. Zum einen gibt es hohe Mitnahmeeffekte – etwa Hausbesitzer, die auch ohne Förderung ihre Heizung umweltfreundlich erneuert hätten. Oder Krankenkassenkunden, die verzichtbare Arztleistungen nutzen, weil sie in der gesetzlichen Versicherung nie den Preis erfahren. Zum anderen verschlechtern die vermeintlichen Wohltaten das Angebot. Die Elektroauto-Förderung hat dazu geführt, dass die Hersteller die Wagen in der Förderperiode teurer angeboten haben. Kitas ohne Einnahmen-Spielraum schränken ihr Angebot ein. Statt noch mehr Staatsgeld an alle auszuschütten, müsste es darum gehen, Bedürftige zu erreichen. Der Bahnverkehr ist wegen seiner aktuellen Misere dafür das schlagende Beispiel: Wichtiger als ein Deutschland-Ticket für alle sind funktionierende Verbindungen – ergänzt um Sozialkarten nur für Bedürftige. Die Bahnfahrt nach Wismar etwa wäre für viele Normalverdiener auch zu einem höheren Preis attraktiv, wenn sie – anders als aktuell – nicht durch überfüllte Ersatzzüge zur Qual würde.