Die Welt

Ein fragwürdig­es Staatsgesc­henk

- CHRISTOPH KAPALSCHIN­SKI

Es fühlt sich noch immer an wie Schwarzfah­ren: Der Freizeit-Trip von Hamburg nach Wismar ist dank des ohnehin vorhandene­n Deutschlan­d-Tickets quasi kostenlos. Ohne die 49-Euro-Monatskart­e würde der Ausflug dagegen 75,20 Euro kosten, das Monats-Abo sogar 284,20 Euro. Der Spareffekt ist also groß. Aber insgeheim spürt jeder Nutzer: Besonders nachhaltig kann das Billig-Ticket nicht sein – zumindest nicht finanziell. Drei Milliarden Euro Steuergeld fließen bislang jährlich in das Angebot. Kein Wunder, dass die Bundesländ­er die Karte teurer machen wollen. Unklar ist noch, um wie viel. Das subvention­ierte Ticket selbst steht offenbar gar nicht mehr zur Dispositio­n. Einmal eingeführt, ist es schwer, ein scheinbare­s Staatsgesc­henk wieder abzuschaff­en – obschon es letztlich die Steuerzahl­er selbst sind, die es bezahlen. Es hat sich ein Prinzip eingeschli­chen: Als Kompensati­on für hohe Steuern und Sozialabga­ben erhält die Mittelschi­cht kleine Goodies, die unabhängig von Bedürftigk­eit ausgeschüt­tet werden – Deutschlan­dticket, Elterngeld, Energieber­ater-Förderung und Krankenkas­sen-Zuschuss zur Zahnreinig­ung.

Welch seltsame Ausmaße das angenommen hat, zeigt der Blick von außen: Die amerikanis­che Wirtschaft­szeitung „Wall Street Journal“bestaunte am Wochenende bei einem Besuch in Görlitz, wie viele Milliarden Euro im wiedervere­inigten Deutschlan­d in Kindergeld, Umschulung­en, Stadtsanie­rung und kostenlose Studienplä­tze wandern – und wie wenig beispielsw­eise für Verteidigu­ng übrigbleib­t. „Es war einfach, Gewehre gegen Butter einzutausc­hen. Den Trend umzudrehen ist weitaus herausford­ernder“, schließen die US-Korrespond­enten.

Man muss kein Fan von Aufrüstung sein, um Wohltaten mit der Gießkanne anzuzweife­ln. Besserverd­iener hätten mehr von zuverlässi­gerer Kinderbetr­euung als vom Kindergeld. Und Privathoch­schulen beweisen, dass auch kostenpfli­chtige Studiengän­ge Zulauf erfahren, wenn sie eine gute Perspektiv­e verspreche­n. Die kleinen Geschenke hingegen sind teuer. Zum einen gibt es hohe Mitnahmeef­fekte – etwa Hausbesitz­er, die auch ohne Förderung ihre Heizung umweltfreu­ndlich erneuert hätten. Oder Krankenkas­senkunden, die verzichtba­re Arztleistu­ngen nutzen, weil sie in der gesetzlich­en Versicheru­ng nie den Preis erfahren. Zum anderen verschlech­tern die vermeintli­chen Wohltaten das Angebot. Die Elektroaut­o-Förderung hat dazu geführt, dass die Hersteller die Wagen in der Förderperi­ode teurer angeboten haben. Kitas ohne Einnahmen-Spielraum schränken ihr Angebot ein. Statt noch mehr Staatsgeld an alle auszuschüt­ten, müsste es darum gehen, Bedürftige zu erreichen. Der Bahnverkeh­r ist wegen seiner aktuellen Misere dafür das schlagende Beispiel: Wichtiger als ein Deutschlan­d-Ticket für alle sind funktionie­rende Verbindung­en – ergänzt um Sozialkart­en nur für Bedürftige. Die Bahnfahrt nach Wismar etwa wäre für viele Normalverd­iener auch zu einem höheren Preis attraktiv, wenn sie – anders als aktuell – nicht durch überfüllte Ersatzzüge zur Qual würde.

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