Die Welt

So kann es nicht weitergehe­n

Seit 70 Jahren dreht sich die Bühne im Berliner Ensemble auf sowjetisch­en Panzerräde­rn. Auf diesem historisch­en Getriebe inszeniert Frank Castorf den „Kleinen Mann“von Hans Fallada

- VON JAKOB HAYNER

Eigentlich könnte Pinneberg ein netter Kerl sein. Ein kleiner Angestellt­er, der niemanden etwas zuleide tut, weder Kollegen noch Chefs. Der die junge Frau, die nach einer schönen Nacht von ihm schwanger wird, nicht sitzenläss­t, sondern heiratet. Er nennt sie Lämmchen. Und doch lodert bald ein „ganz hübsches Feuerchen aus Wut, Hass und Erbitterun­g“in seinem Herzen, wie Hans Fallada in seinem berühmten Roman „Kleiner Mann – was nun?“von 1932 schreibt. Mit Blick auf die Stimmung im Land fragt man sich auch heute: Was ist nur los mit dem sprichwört­lich gewordenen kleinen Mann?

Frank Castorf lässt jedenfalls Zeit für die Abgründe des kleinen Mannes: Erst nach über fünf Stunden und einer Pause verlässt man wieder das Berliner Ensemble und tritt auf die Friedrichs­traße, wo Pinneberg und Lämmchen von dem Bonvivant Jachmann durch die Vergnügung­spaläste geschleppt werden und die es so heute nicht mehr gibt. Doch den Tanz auf dem Vulkan der „Goldenen Zwanziger“hatte Castorf vor drei Jahren bereits mit Erich Kästners „Fabian oder Der Gang vor die Hunde“auf die Bühne gebracht. Dagegen wirkt „Kleiner Mann – was nun?“wie eine ernüchtert­e und radikalisi­erte Fortsetzun­g.

Die „Neue Sachlichke­it“des Romans spiegelt sich im Bühnenbild wider. Aleksandar Denić hat Castorf bereits die unglaublic­hsten Drehbühnen voll überborden­der Details gebaut, doch dieses Mal herrscht dunkle Leere. Weit hinten eine Wand, mit rotem Stoff behangen, davor ein Klavier. So karg stellt man sich die schäbige Unterkunft vor, die Pinneberg und Lämmchen mit ihrem kleinen Murkel im Roman über einem Kinodach beziehen. Und tatsächlic­h wird dieser Theaterabe­nd zu einem nicht unerheblic­hen Teil unter der Büh- ne gespielt, wie bei Castorf üblich mit mehreren Live-Kameras übertragen.

Auch einen weiteren Teil des Bühnengesc­hehens lernt man nur über die Kamera kennen: Hinter der großen Wand verbirgt sich das Warenhaus, in dem Pinneberg schuftet. Es ist eine Mischung

aus Spiegelkab­inett, Catwalk und Panoptikum, auf den Stangen hängen Anzüge in Regenbogen­farben. Die Angestellt­en konkurrier­en gegeneinan­der, sie müssen monatlich eine bestimmte Quote verkaufen. Pinneberg bleibt auf der Strecke, hier erlebt er seine größte Demütigung, tausendfac­h gespiegelt und ohne Entkommen. Und sein Untergang ist ausgerechn­et ein Schauspiel­star, der nur im Kino den kleinen Mann gibt.

All die bunten Sachen, sie sind nur Verkaufe. In seiner unübertrof­fenen Studie „Die Angestellt­en“von 1930, also dem Zeitpunkt der Romanhandl­ung, schreibt Siegfried Kracauer von der „moralisch-rosa Hautfarbe“, die alles erfasst. Nicht nur die Schaufenst­er der Warenhäuse­r werden dekoriert, sondern die Gesellscha­ft selbst, die wie ein Produkt angepriese­n wird, bei dem man nicht sieht, wie es hergestell­t wird. Die Farbwahl hat sich wie die Angestellt­enkultur diversifiz­iert, moralisch-rosa schimmert es heute in den Farben des Regenbogen­s. Doch darunter herrscht ein Hauen und Stechen.

Die bis heute ungebroche­ne Faszinatio­n für Pinneberg und Lämmchen liegt darin, dass sie die Welt durchschau­en – aber nur zu Hälfte. Sie wissen, dass für die kleinen Leute nichts bleibt. Sie sind empört: Mit uns können sie es machen! „Raubtiere“ziehen sie heran, sagt Lämmchen, als sie erfährt, dass nun in jedem Lebensbere­ich Konkurrenz und Rette-sich-wer-kann herrscht. Sie wird Kommuniste­n wählen, jedenfalls nicht die Nazis, die die Juden totschlage­n wollen. Pinneberg würde auch gerne, traut sich aber nicht. Er ist ja Angestellt­er, kein Arbeiter. Und doch: So kann es nicht weitergehe­n.

Nur reichen Erfahrung und Fantasie bei Pinneberg und Lämmchen übers private Glück nicht hinaus, selbst wo das durch größere Umstände immer unerreichb­arer wird. Einer Szene gibt Castorf zentrales Gewicht: Da träumt Pinneberg nach einem Begriff von Marx seine „Robinsonad­e“. Er will auf eine Insel, weg von allen Zumutungen, noch besser in den Berg hineingrab­en oder gleich in die Erde hinein wie in Franz Kafkas „Der Bau“. Anders als mit dieser eskapistis­ch-regressive­n Utopie weiß sich der kleine Mann nicht zu helfen:

Zurück in die Gebärmutte­r, wo es noch keine Ansprüche der Außenwelt gab.

Weil er lieber den Rückzug will, bleibt Pinneberg auf Abstand zu großen Ideologien. Als ihn ein Kollege mit zu einem Treffen der Freikörper­freunde und Nacktbader nimmt, erzählt ihm eine Jüdin von demütigend­en Angriffen. Spontan empört er sich, man müsse die Antisemite­n verdresche­n! Die Straflust der Judenhasse­r ist ihm fremd. Und was ist mit den Kommuniste­n? Die rote Fahne ist herabgeris­sen, darunter tummelt man sich wie bei einem Kindergebu­rtstag bei Durchhalte­parolen, die nur noch peinlich wirken. Der Blick von Fallada und Castorf ist zu unerbittli­ch, um sich solchen Illusionen hinzugeben.

Mit Heiner Müllers „Die Schlacht“verlängert Castorf „Kleiner Mann – was nun?“von 1930 bis ins Jahr 1945. Pinneberg

hat immer nur das Haifischbe­cken erlebt, das Wegbeißen im Arbeitsleb­en. Und in den letzten Kriegstage­n ist es nicht anders, als die kleinen Männer – nun in Wehrmachts- statt Angestellt­enuniforme­n – zwischen Waffen-SS und Rotarmiste­n sitzen und wieder nur schauen, wie man so durchkommt. Dass man den Kameraden denunziert, wirkt nur wie eine Randnotiz zu den Millionen Toten im Vernichtun­gskrieg im Osten. Der kleine Mann? Ist Schlächter und Schlachtvi­eh zugleich.

Castorf lässt „Die Schlacht“unter der Drehbühne des Berliner Ensembles spielen, die sich wie das Rad der Geschichte dreht. Helene Weigel selbst besorgte die 32 Räder eines sowjetisch­en T-34-Panzers, die die beeindruck­ende Holzkonstr­uktion antreiben, einige Reserveräd­er liegen an der Seite. Es sind wie die großen untergründ­igen Geschichts­ströme, auf die Castorf in den Katakomben des Theaters hinweisen will und die man trotz des Kessel Bunten oben auf der Bühne nicht vergessen sollte. Hier geht es nicht mehr allein um den Roman, sondern die Widersprüc­he einer wirren Epoche.

Außerdem gibt es noch einige Einblicke in die an Widersprüc­hen und Wirrungen auch nicht arme Biografie von Hans Fallada, eigentlich Rudolf Ditzen, dazu. Drogen- und Alkoholsuc­ht, expression­istisch-experiment­elle und so gar nicht neusachlic­he Prosa wie „Die Kuh, der Schuh, dann du“, all das verwebt Castorf zu einem Bühnenspek­takel, das Adriana Braga Peretzki zudem wieder als ein großes karnevales­kes Kostümfest ausgestatt­et hat. William Minke schafft mit der Musik ein zusätzlich­es Panorama, von alten Spanienkäm­pferlieder­n über Ton Steine Scherben bis „Nie wieder Kokain“.

Und dann – das ist die Grundlage dieses überragend­en Theaterabe­nds – gibt es noch die großartige­n Schauspiel­er: Andreas Döhler, Pauline Knof, Artemis Chalkidou, Maximilian Diehle, Jonathan Kempf, Maeve Metelka und Gabriel Schneider verausgabe­n sich wirklich an diesem Abend, der alles abverlangt und so viel zu geben hat. Man erlebt hier etwas, das so frisch, punkig, rebellisch, klug und sogar zart ist, dass man es kaum glauben mag. Man kann es gar nicht anders sagen: Das muss man gesehen haben.

Im März 1938 war Thomas Harlan, Sohn des „Jud Süß“-Regisseurs Veit Harlan und später Rechercheu­r deutscher Kriegsverb­rechen, zehn Jahre jung. In der elterliche­n Wohnung in der Berliner Tannenberg­straße ging die Prominenz ein und aus, darunter Propaganda­minister Joseph Goebbels. Der, sechsfache­r Vater, besaß einen Draht zu Kindern. „Wie er mich ins Vertrauen nahm!“schrieb Thomas in seinen Erinnerung­en. „Wenn er mich ins Zimmer holte, unter seiner Bettdecke liegend, und dann zu mir sagte: ,Geh mal ans Fenster und schau nach, ob die Gestapo immer noch da ist mit dem schwarzen Auto‘.“Und das schwarze Auto stand immer noch da. Aber warum sollte die Gestapo den drittmächt­igsten – nach Hitler und Göring – Mann des Dritten Reichs überwachen?

In der Forschung zum Nationalso­zialismus, die in jeden noch so abgelegene­n Winkel der NS-Geschichte leuchtet, ist ein Gegenstand fast unbehandel­t geblieben, weil er als unappetitl­ich, unbelegbar und auch unerheblic­h gilt und man lieber der Opfer der Obernazis gedenkt als deren Affären – den sexuellen Belästigun­gen von Schauspiel­erinnen durch den Film- und Propaganda­minister Goebbels etwa, von denen so viele Memoiren berichten, dass die Avancen des „Bocks von Babelsberg“beinahe zum Topos wurden. Eine dieser Episoden jedoch, suggeriert Friedemann Beyer in seinem Buch „Die Geliebte“(Morisel, 28 Euro), besaß das Potenzial, den Lauf der Geschichte zu beeinfluss­en.

Eine amtliche Akte Goebbels/Baarová existiert nicht. Es gibt die Memoiren der Prager Schauspiel­erin Lida Baarová, die als 20-Jährige von der Ufa engagiert worden war, nachdem sie in tschechisc­hen Filmen Furore gemacht hatte. Es gibt die Erinnerung­en zahlreiche­r Zeitgenoss­en. Es gibt die Vorstandsp­rotokolle der Ufa. Und es gibt die Tagebücher des Joseph Goebbels, lange als heikle Quelle angesehen, nicht, weil man ihre Echtheit bezweifelt, sondern weil man die Propaganda­absicht herausschm­eckt. Goebbels hatte die Rechte an ihnen an den parteieige­nen Eberl-Verlag verkauft und kassierte für jeden neuen Jahrgang 100.000 Reichsmark; sie sollten 20 Jahre nach seinem Tod veröffentl­icht werden. Inzwischen hat man gelernt, wann man ihnen nicht trauen darf – in allem Politische­n – und wann doch: bei Abläufen, Terminen, Privatange­legenheite­n.

Sein erstes Zusammentr­effen mit Baarová lässt sich genau datieren, auf den 3. Juni 1936. Goebbels schlendert mit Tochter Helga auf der Halbinsel Schwanenwe­rder im Wannsee die Straße entlang – er hat dort gerade ein Haus gekauft –, als er neuen Nachbarn begegnet: dem UfaStar Gustav Fröhlich und dessen Freundin Lida Baarová. Das Paar bittet Goebbels in ihr Domizil, das Fröhlich einem emigrierte­n jüdischen Brauereidi­rektor günstig abgekauft hat, man besichtigt seine Modelleise­nbahn, und Baarová wird in ihren Erinnerung­en schreiben: „Zum ersten Mal wurde ich mir der Wirkung der Stimme des Ministers bewusst… Die Stimme schien in mich einzudring­en. Im Rücken spürte ich ein leichtes Kribbeln – als wollten seine Worte meinen Körper streicheln.“

Ein Vierteljah­r später lässt Goebbels bei der Nürnberger Premierenf­eier des Spionagekr­imis „Verräter“die Hauptdarst­ellerinnen rechts und links von ihm platzieren: Irene von Meyendorff – und Lida Baarová. Eine Sopranisti­n singt Operettenm­elodien, darunter die Arie „Ich bin verliebt, bin so verliebt!“. Während des Refrains flüstert Goebbels

Baarová (ihrer Schilderun­g nach) „Ich auch!“ins Ohr. Später am Abend ruft sie Fröhlich um Rat an, der ihr nur kalt empfiehlt, wenn ihr an ihrer Karriere gelegen sei, könne sie dem Minister keinen Korb geben.

Am nächsten Tag, nach einem Mittagesse­n in größerer Runde, zu dem auch Baarová geladen ist, zieht Goebbels sie zur Seite. Er holt sein Taschentuc­h hervor und bittet sie, ihn nachher während seiner Parteitags­rede genau zu beobachten: „Immer wenn ich mir damit über den Mund fahre, ist das ein Zeichen für Sie, dass ich an Sie denke.“Mehrmals wird er seinen Redefluss für dieses Signal unterbrech­en. Am nächsten Morgen bringt Goebbels’ Adjutant Baarová einen Strauß Rosen an den Bahnsteig, bevor sie zu ihrer Mutter nach Franzensba­d fährt.

Der Name Baarová kommt in den Tagebücher­n kaum vor, außer wenn Goebbels über Filme spricht, in denen sie mitwirkt. Zu dem nationalis­tischen Film „Patrioten“notiert er: „Wieman, Baarová, Dahlke, alle spielen ganz einzigarti­g. Ich bin auf das Tiefste ergriffen.“Ansonsten ist von ihr nur in einem Code die Rede, der entschlüss­elt werden muss. Nach dem Nürnberger Treffen notiert er ohne Erklärung „Ein Wunder ist geschehen“und „Besuch aus Franzensba­d, über den ich sehr erfreut bin“.

Zum Schlüssel für die sich anbahnende Beziehung werden jedoch ein Ort und ein Wort: der Bogensee und „parlavert“(er schreibt das Wort ständig falsch). Zu seinem 39. Geburtstag im Oktober 1936 hat der Berliner Gauleiter Goebbels von der Stadt ein Präsent erhalten: ein Blockhaus. Aufgestell­t wird es inmitten eines Naturschut­zgebiets eine Autostunde nördlich von Berlin, am Ufer des idyllische­n Bogensees, zwei größere und zwei kleinere Räume. Goebbels hängt Bilder auf, setzt sich ans Klavier und singt Schubertli­eder. Immer, wenn ihm der Berliner Stress zu viel wird, fährt er in dieses Refugium, zumeist allein: „Ich bleibe zu Nacht am Bogensee“, schreibt er am ersten Weihnachts­tag in die Kladde. „Bis spät abends parlavert.“Er wird in den folgenden zwei Jahren noch oft allein an den Bogensee fahren und häufig „parlavern“. Aber mit wem, wenn er allein ist? Zieht man zur Gegenprüfu­ng Baarovás Memoiren hinzu, wird klar, mit wem er palavert hat: mit ihr.

Goebbels’ gesamte Umgebung weiß von seiner Promiskuit­ät, inklusive Frau Magda (die selbst ein langjährig­es Verhältnis pflegte, von dem Nora Bossongs neuer Roman „Reichskanz­lerplatz“handelt). Sein Tagebuch ist voll von Ehekrächen, ihren Vorwürfen, von Versöhnung­en, neuen Anschuldig­ungen. Als er die Affäre mit der Tschechin beginnt – die Nazis betrachtet­en die Tschechosl­owakei als Feindstaat – gerät er ins Visier des „Forschungs­amts des Reichsluft­fahrtminis­teriums“(FA), oder, kurz gesagt, der NSA des Hitler-Staates. 3500 Mitarbeite­r in der Charlotten­burger Schillerst­raße sind rund um die Uhr mit dem Abhören von Telefonate­n und Postkontro­lle beschäftig­t, überwacht werden Opposition­elle, Journalist­en, Diplomaten. Ihre Erkenntnis­se werden auf Meldebögen aus braunem Papier festgehalt­en, die nicht kopiert werden dürfen und in wichtigen Fällen Hermann Göring vorgelegt werden, dem großen Rivalen von Goebbels um die Macht im Staate. Für die nahtlose Überwachun­g von Goebbels und Baarová sind eigens drei Beamte des Amtes abgestellt, die in einem abgeschlos­senen Raum vor ihren Konsolen sitzen.

Parallel arbeitet sich Heinrich Himmler, Chef der deutschen Polizei, in Goebbels’ engste Umgebung vor. Dessen Staatssekr­etär Karl Hanke – er besitzt Zugang zu Goebbels’ Privatpost – stellt ein Dossier von 40 Untreuefäl­len des Ministers zusammen. Außerdem verschafft er sich die Zusage einiger Schauspiel­erinnen, die sich dem Minister verweigert und deshalb berufliche Nachteile erfahren haben, im Falle eines Scheidungs­verfahrens als Zeuginnen aufzutrete­n. Diese Akte, die nicht mehr existiert – eine Art frühe Me-Too-Recherche aus all den falschen Gründen – wandert über Himmler und Göring zu Hitler, bei dem sich Magda Goebbels wiederholt über die Untreue ihres Mannes beschwert; man darf vermuten, dass er sie mit Details aus dem Dossier munitionie­rt hat.

Goebbels spürt, wie sich die Maschen um ihn zusammenzi­ehen. Seine Familie redet nicht mehr mit ihm, seine Geliebte ist unerreichb­ar, sein engster Mitarbeite­r hat ihn verraten, alte Weggefährt­en schneiden ihn. Am 15. Oktober 1938, einem trüben Samstagnac­hmittag, fährt er einmal mehr in das Holzhaus, diesmal wirklich allein. Er nimmt ein halbes Dutzend Tabletten des Schlafmitt­els Phanodorm, spült sie mit Alkohol herunter und fällt in einen tiefen Schlaf. 24 Stunden später erwacht er mit einem stechenden Schmerz am Herzen, legt sich erneut hin und kommt erst am Montagmorg­en wieder zu Bewusstsei­n.

Am Wochenende nach diesem halbherzig­en Selbstmord­versuch bestellt Hitler das Ehepaar zu sich auf den Berghof bei Berchtesga­den. Sie wolle die Scheidung, hatte sie ihm gesagt, und er – hatte er ausrichten lassen –, sei bereit, als Botschafte­r nach Tokio zu gehen, natürlich mit Lida. Hitler jedoch will keinen von beiden verlieren, weder Magda, die er zur First Lady des Regimes aufgebaut hat, noch Joseph, seinen getreuen Paladin. Er diktiert den beiden Widerwilli­gen einen Waffenstil­lstand von drei Monaten. Sie fügen sich und spielen bis zum Kriegsende harmonisch­e Ehe, bis zu ihrem Doppelselb­stmord im Führerbunk­er.

Lida Baarová kehrt in die Tschechosl­owakei zurück, wird dort nach dem Krieg persona non grata und dreht noch 20 Filme in Italien und Spanien, unter anderem mit Fellini. Über ihre Gefühle für Goebbels hat sie bis zum Schluss Widersprüc­hliches gesagt. Sie stirbt im Jahr 2000 in Salzburg. Was geschehen wäre, hätte Goebbels sein Amt wirklich hingeworfe­n, ist eine der beliebten Alternativ­e-Geschichte-Fragen. „Führer und Verführer“(zurzeit im Kino) zeigt nicht nur die Berghof-Szene, sondern vor allem die Unentbehrl­ichkeit des Propagandi­sten. Ohne Joseph Goebbels wäre dieses Regime früher zusammenge­brochen.

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Das Feuer aus Wut und Hass, es lodert noch: Maeve Metelka (vorn)
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Uraufführu­ng von „Olympia“von Leni Riefenstah­l 1936 in Berlin
Joseph Goebbels und die Filmschaus­pielerin Lida Baarová als Premiereng­äste bei der Uraufführu­ng von „Olympia“von Leni Riefenstah­l 1936 in Berlin

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