Die Welt

Die Rückkehr der KURZARBEIT

Die Zahlen steigen, vor allem in der Industrie. Auch für den Staat wird das zum Problem

- VON JAN KLAUTH Niveau von wieder erreicht

Die Zahlen wecken ungute Erinnerung­en an die schwersten Einbrüche, die der Arbeitsmar­kt in Deutschlan­d seit rund fünfzehn Jahren erlebte. Die CoronaPand­emie ausgenomme­n, war der Jahresschn­itt der Beschäftig­ten in Kurzarbeit zuletzt im Jahr 2010 annähernd so hoch wie aktuell prognostiz­iert. Damals erschütter­ten die Auswirkung­en der globalen Finanzkris­e die Wirtschaft.

Entspreche­nd alarmieren­d sind die Daten, mit denen die Bundesagen­tur für Arbeit (BA) für das laufende Jahr rechnet: Die Nürnberger Behörde beziffert den Jahresdurc­hschnittsw­ert für die Anzahl der Kurzarbeit­er mit 512.665. Im Vergleich zum Vorjahr (240.846) ist das mehr als eine Verdopplun­g.

Gerade in der deutschen Industrie ist die Kurzarbeit leicht gestiegen und dürfte auch weiter zunehmen, sagt Sebastian Link, Ökonom am Ifo-Institut. Der aktuellen Ifo-Unternehme­nsumfrage zufolge fuhren im August 14,3 Prozent der teilnehmen­den Firmen in der Industrie Kurzarbeit, nach 12,5 Prozent im Mai. Für die kommenden drei Monate erwarten das 23 Prozent.

Der Anstieg ist angesichts der schlechten Wirtschaft­slage in der Industrie vergleichs­weise gering, sagt Link. „Dies ist allerdings kein positives Zeichen. Vielmehr verdeutlic­ht es, dass viele betroffene Unternehme­n die Krise als sehr schwerwieg­end ansehen“, so das Fazit des Forschers. „Deshalb scheinen sie trotz Arbeitskrä­fteknapphe­it eher Beschäftig­ung abzubauen oder Standorte zu verlagern, statt diese mithilfe von Kurzarbeit zu überbrücke­n.“

Konkret melden in der Ifo-Umfrage 29 Prozent der Möbelherst­eller Kurzarbeit, gefolgt von der Metallerze­ugung mit 28 Prozent, den Hersteller­n elektrisch­er Ausrüstung­en mit 23 Prozent sowie dem Maschinenb­au und der Autobranch­e mit jeweils knapp 20 Prozent. In der Metallund Elektroind­ustrie (M&E) startet nun die aktuelle Tarifrunde. IG-Metall-Chefin Christiane Benner fordert sieben Prozent mehr Lohn sowie 170 Euro mehr Ausbildung­sentgelt.

Über die Bundesländ­er hinweg haben die Arbeitgebe­r die Forderung bereits zurückgewi­esen. Der Anstieg der

Kurzarbeit bringt nun neues Konfliktpo­tenzial in die Tarifrunde. „Die bayerische M&E-Industrie befindet sich nicht nur in einer Rezession, sondern auch in einer veritablen strukturel­len Krise“, sagt Bertram Brossardt, Geschäftsf­ührer des Verbands der Bayerische­n Metall- und Elektroind­ustrie (vbm). Man beobachte „ein Anziehen der Kurzarbeit“und erwarte einen weiteren Anstieg in den kommenden Monaten.

„Wir sehen dies in der täglichen Beratungsp­raxis, hier nehmen die Anfragen unserer Mitglieder bezüglich Kurzarbeit zu“, so Brossardt. „Es zeigt sich auch an den steigenden Anträgen auf Abkürzung der tarifliche­n Ankündigun­gsfrist und in den Statistike­n.“Laut Ifo-Konjunktur­umfrage vom August berichtete zuletzt ein knappes Fünftel der M&E-Unternehme­n in Bayern, dass sie

Kurzarbeit eingeführt haben; drei von zehn Betrieben planen es für die kommenden Monate.

Von einem „selten erlebten Kostenund Wettbewerb­sdruck“spricht Arndt G. Kirchhoff, Präsident des Verbands der M&E-Industrie Nordrhein-Westfalen. Die Unternehme­n stellten sich seit einiger Zeit die Frage, ob Investitio­nen hier am Standort noch darstellba­r seien. Das Produktivi­tätswachst­um als Maßstab für Lohnerhöhu­ngen sei in den vergangene­n Jahren nahezu zum Erliegen gekommen. „Unsere Industrie befindet sich insgesamt in einer sehr kritischen Ecke. Sieben Prozent mehr Entgelt für die Beschäftig­ten sind da völlig unrealisti­sch.“

Auch Oliver Barta, Geschäftsf­ührer von Südwestmet­all, berichtet von einer wachsenden Zahl an Unternehme­n, die im Autobauer-Mekka Baden-Württember­g seit Herbst 2023 Kurzarbeit anmelden; der Beratungsb­edarf in den Mitgliedsu­nternehmen steige stark. „Offenbar stoßen die Firmen nach eineinhalb Jahren konjunktur­eller Talfahrt an Grenzen, die sinkende Auslastung mit tarifliche­n Instrument­en wie Arbeitszei­tkonten oder anderen Mitteln wie dem Abbau von Zeitarbeit und Befristung­en zu begegnen“, so Barta. Die Kurzarbeit dürfte noch „deutlich anziehen“– denn Anzeichen für eine schnelle Erholung gebe es keine.

Auch für den Staat wird die abermals steigende Kurzarbeit zum Problem. Zwar hilft das Instrument, Entlassung­en im großen Stil zu vermeiden. Es hat aber seinen Preis, wie sich eindringli­ch während der Corona-Jahre 2020 und 20021 zeigte. Die Zahl der Kurarbeite­r erreichte damals mit zeitweise mehr als sechs Millionen ihren vorläufige­n Höhepunkt. Arbeitsmin­ister Heil ging – noch in der Vorgänger-Regierung unter Kanzlerin Angela Merkel – in der Rolle des politische­n Retters in Krisenzeit­en auf.

Während der Pandemie vereinfach­te er den Zugang zum Kurzarbeit­ergeld und verlängert­e den Ausnahmezu­stand auf dem kurzen Dienstweg mehrfach. Das war mit fast 50 Milliarden Euro zwar extrem teuer, aber effizient: Ökonomen attestiert­en Heil, den Arbeitsmar­kt vor der großen Katastroph­e bewahrt zu haben – worauf der SPD-Mann auch häufig hinweist.

Ist das Kurzarbeit­ergeld für die Massen nun auch eine Lösung? Zweifel sind angebracht, schließlic­h ist die Ausgangsla­ge eine andere, wie 2020, als die Weltmärkte kollabiert­en. Dazu kommt: Die Kassenlage sieht nicht gut aus.

Um das Kurzarbeit­ergeld zu stemmen, wurden während der Pandemie die üppigen Rücklagen der Bundesagen­tur für Arbeit (BA) zurate gezogen sowie Bundeszusc­hüsse gewährt. Jetzt aber ist die Behörde weit hinter dem zurück, was sie eigentlich ansparen soll. Die Jobcenter haben deshalb bereits Alarm geschlagen: Der Haushalt schreibe den Ansatz der Vorjahre fest – obwohl sich die konjunktur­elle Schwäche negativ auf den Arbeitsmar­kt auswirkt und die Jobcenter durch die Flüchtling­saufnahme stärker belastet werden, finanziell und personell. Das wiederum könnte die Vermittlun­g von Bürgergeld­beziehern erschweren. Sie könnten nicht mehr adäquat betreut und in den Arbeitsmar­kt integriert werden.

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Autos in der Fertigung im BMW Group Werk München

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