„Die Depression hat mich zum Nachdenken gebracht“
INTERVIEW. Moran Vermeulen hat seine Karriere als Radprofi beendet. Der einstige Bundesligasieger will sich dem Breiten- und Behindertensport widmen.
Es wird gemunkelt, dass es das war mit dem professionellen Radfahren für Sie. Sie hören wirklich auf?
MORAN VERMEULEN: Ja. Genau.
Wann? Gleich?
Eigentlich habe ich schon nach der Ö-Tour aufgehört, aber ich habe mir ein paar Wochen zum Nachdenken gegeben. Ich bin dann zum Entschluss gekommen, dass es so gut passt.
Lassen Sie es wegen Ihrer Depressionen sein?
Sie waren nicht der Auslöser, aber sie haben mich zum Denken angeregt. Wie geht es weiter im Leben? Da habe ich für mich entschieden, dass Rennen fahren definitiv nicht dazugehört. Der Massensturz bei der Ö-Tour und der Tod von André Drege, den ich persönlich recht gut gekannt habe, haben schon Einfluss gehabt. Bevor ich selber einmal liege, mache ich lieber Dinge, die mir Spaß machen.
Was machen Sie?
Das Problem ist, dass ich recht viele Angebote habe. Am ehesten werde ich im Sport als Trainer für Breiten- und Behindertensport bleiben, das will ich auch längerfristig machen. Mein Vertrag beim Team Felbermayr läuft noch bis Ende des Jahres. Das Entgegenkommen hilft mir sehr. Ich bin als Sportlicher Leiter mit dem Team unterwegs und werde auch schauen, dass ich Mika (sein Bruder ist Langläufer im Weltcup, Anm.) links und rechts unterstütze.
Wie geht es Ihnen mit sich selbst?
Die letzten Wochen waren natürlich ein paar Mal beschissen. Ich hatte viele schlaflose Nächte, habe oft überlegt, ob die Entscheidung wirklich richtig war. Ich war als Betreuer bei Rennen und auch da hat es immer wieder Stürze gegeben und ich wusste, dass sie richtig war.
Was hilft Ihnen?
Struktur. Ich habe mir in letzter Zeit schwergetan, Struktur im Tag zu haben, und dabei geht es mir ganz schlecht. Dann tue ich mir selbst schnell leid und dann falle ich in ein Verhalten hinein, das für mich mit der Depression nicht gut ist. Daher will ich die Struktur über das Trainerdasein auch hineinbringen. Ich habe es im Griff und es gibt einfach Trigger, auf die ich achten muss.
Alkohol – und den habe ich jetzt komplett gestrichen. Wir haben einmal nur angestoßen, nicht viel getrunken und am nächsten Tag ist gar nichts mehr gegangen. Ich habe mich nicht mehr herausgesehen, da ist es mir richtig dreckig gegangen. Ich bin bis am Abend nicht aus dem Bett gekommen. Ich habe dann mit Fahrern gesprochen, mit denen ich sehr eng bin, und sie haben mich aufgebaut, Rennen zu fahren.
Wie war es dann?
Geil ist etwas anderes, aber ich hatte Struktur, konnte leben und atmen. Dann ging es eh, auch wenn ich etwa bei der ÖTour weit unter meinem Leistungsniveau war.
Dann kam die Tour …
Bei dem Massensturz bin ich gerade noch so unten rausgerutscht und dann der Todesfall. So wie es scheint, war es ein Materialfehler und das hätte mir genauso passieren können. Ich hatte so einen ähnlichen Sturz selbst schon, bei dem ich mit 80 in eine Betonwand gefahren und über eine Böschung hinuntergefallen bin. Zum Glück war da ein Jungwald und ich hatte nur ein paar Abschürfungen und eine Gehirnerschütterung. Wäre da ein Steinfeld gewesen, hätte es mich auch nicht mehr gegeben.
Beginnt dann das Nachdenken?
Wegen der Depression war ich auf der Suche nach Dingen, die mir Spaß machen. Das war es nicht. Ich bin die ganze Ö-Tour mit zusammengekniffenen Arschbacken gefahren wie ein Volltrottel und habe nur gehofft, dass ich nicht auf die Fresse fliege.
Und danach im Auto bei den Rennen zu sitzen, war hilfreich?
Es hat mir gutgetan, aber es waren auch Rennsituationen, die schwierig waren. Da habe ich mir gedacht: Das wäre eigentlich mein Job gewesen. Bis der nächste Sturz passiert ist und ich mit zwei Fahrern von uns am Abend im Krankenhaus gesessen bin.
Sehen Sie das als mögliche Zukunft?
Kommendes Wochenende fahre ich zum ersten Mal als erster Sportlicher Leiter mit und organisiere alles für das Team beim Bundesligarennen, aber aus aktueller Sicht werde ich das nicht langfristig machen. Weil ich einfach einen fixen Tagesablauf brauche und es wirklich viel Energie kostet, jedes Wochenende ein Team zu betreuen. Die brauche ich aktuell für mich selbst.