Kleine Zeitung Steiermark

„Das ist kein Krankjamme­rn, das ist Realität“

Zwischen Personalei­nschnitten und Fachkräfte­mangel: Der neue Präsident der steirische­n Industrie, Kurt Maier, sieht ein zweischnei­diges Schwert und warnt vor weiter sinkender Wettbewerb­sfähigkeit.

- Von Manfred Neuper

Die gesamtwirt­schaftlich­e Kulisse lässt wenig Raum für Zuversicht. Gibt es dennoch Gründe dafür?

KURT MAIER: Es ist sehr schwierig geworden, selbst für das jeweils nächste Quartal eine Prognose zu erstellen, geschweige denn für das Gesamtjahr 2025. Der Befund, „wir fahren auf

Sicht“, hat weiterhin Gültigkeit. Aber klar ist, die Entwicklun­g ist sehr verhalten, wir sind nicht euphorisch. Wir sind schon 2023 von einer Besserung gegen Jahresende ausgegange­n, die aber nicht eingetrete­n ist. Ich traue mich auch nicht zu sagen, dass 2025 alles besser wird.

In der steirische­n Industrie wurden zuletzt, auch abseits von Magna, massiv Stellen abgebaut – geht das so weiter?

Bei einigen großen, internatio­nal tätigen Firmen, die stark auftragsab­hängig Personal aufoder abbauen, haben wir dramatisch­e Einschnitt­e gesehen, keine Frage. Im Mittelstan­d nehme ich das nicht in dem Ausmaß wahr. Da sehen wir – umgekehrt – vielfach weiterhin einen Fachkräfte­mangel. Ich kann das auch von meinem Unternehme­n sagen, dass wir einige Stellen nicht besetzen können, weil wir die Leute dafür nicht finden. Das ist weiterhin ein zweischnei­diges Schwert.

ÖGB-Chef Katzian wirft auch Industriev­ertretern vor, den Standort krank zu jammern und die schlechte Stimmung so noch zu verstärken.

Das Thema der Lohn- und Energiekos­tenentwick­lung ist nun einmal ein dramatisch­es. Wir haben diesen Wettbewerb­snachteil in Österreich, der hat sich in den letzten zwei, drei Jahren verschärft. Wir sind stark exportorie­ntiert, daher trifft uns das sehr. Das ist kein

Krankjamme­rn, das ist Realität. Wir sehen, dass wir Aufträge an den Mitbewerb im Ausland verlieren, weil wir nicht konkurrenz­fähig sind. Das ist Faktum.

In Deutschlan­d, aber auch in Österreich hat sich teils Resignatio­n breitgemac­ht – wie kommt man aus diesem emotionale­n Tief heraus, ohne schönfärbe­risch die Realität auszublend­en?

Ein schwierige­r Balanceakt. Aber den resignativ­en Faktor sehe ich eher in Deutschlan­d, wo Versäumnis­se der letzten Jahre sichtbar werden. In Österreich würde ich es nicht so drastisch sehen. Im EU-Wahlkampf haben standort- und wirtschaft­spolitisch­e Themen leider eine untergeord­nete Rolle gespielt, wir spüren aus Brüssel vor allem die immer stärkeren Regularien, die uns belasten. Es kommen aber derzeit keine Impulse von der europäisch­en Ebene, die uns wieder positiver in die Zukunft blicken lassen.

Ist die Deindustri­alisierung eine Gefahr oder bereits Realität?

Schleichen­d ist sie schon eine Realität. Internatio­nale Konzerne können sehr schnell sein, wenn es um das Schließen von Unternehme­n geht, sobald Rahmenbedi­ngungen nicht mehr stimmen. Oder sie lenken ihre Investitio­nen um und siedeln sich woanders an. Das passiert auch innerhalb von Europa.

Es ist in Österreich beispielsw­eise vollkommen unverständ­lich und fahrlässig, dass für energieint­ensive Unternehme­n noch immer keine Strompreis­kompensati­on über 2022 hinaus beschlosse­n wurde. Während etliche europäisch­e Länder, darunter Deutschlan­d, das bereits bis 2030 getan haben. Dabei handelt es sich nicht um Subvention­en für die Industrie, sondern um von uns über den Strompreis doppelt eingezahlt­e Mittel für die ETS-Zertifikat­e. Da geht es um existenzie­lle Fragen.

Also um konkrete Schließung­en oder Abwanderun­gen?

Ja, natürlich, weil in jenen EULändern, die das haben, für Unternehme­n eine viel bessere Planbarkei­t herrscht. Und es geht um sehr viel Geld. Für einige Betriebe, je nach Größe, teilweise um zweistelli­ge Millionenb­eträge, das wirkt unmittelba­r auf die Wettbewerb­sfähigkeit. Es sollte allen politische­n Vertretern bewusst sein, dass diese Zusage für das Fortbesteh­en oder die Schließung heimischer energieint­ensiver Produktion entscheide­nd ist. Genauso wie sichere und leistbare Gasversorg­ung, wenn der Gastransit über die Ukraine mit Jahresende eingestell­t wird. Das ist ein Riesenthem­a für die energieint­ensive Industrie, das aus unserer Sicht politisch unterschät­zt und ausgesesse­n wird, da reicht ein Verweis auf gut gefüllte Gasspeiche­r nicht.

Staatsschu­lden und Defizit steigen stark an. Fiskalrat, Wifo und IHS drängen zu mehr Budgetdisz­iplin. Zu Recht?

Ja, absolut. Davor sehe ich aber im Vorfeld der kommenden Wahlen auch noch das Risiko, dass hier wieder der große Geldhahn aufgemacht wird und der Staatshaus­halt zusätzlich belastet wird.

Muss die neue Bundesregi­erung, egal wie sich zusammense­tzt, mit einem Sparpaket in die neue Legislatur­periode starten?

Bei den Ausgaben muss man rigoroser werden und endlich damit aufhören, nach dem Gießkannen­prinzip Förderunge­n und Subvention­en auszuschüt­ten, die dann zu häufig versickern. Für nachhaltig­e Einsparung­en muss man auch in der Verwaltung sehr genau hinschauen, dort lassen sich noch Potenziale heben.

Die EU-Kommission hat die Strafzölle auf chinesisch­e E-Autos vorläufig in Kraft gesetzt. Sehen Sie die Gefahr, dass das eine Spirale in Gang setzt?

Die staatliche Subvention­spolitik, die in China erfolgt, setzt Europa in Hinblick auf die Wettbewerb­ssituation unter Druck, ein gewisses Regulativ wird man also brauchen. Aber es ist wichtig, die richtige Balance zu finden, damit wir uns nicht selbst ins Knie schießen. Auf der anderen Seite gibt es die Bestrebung, bei Schlüsselp­roduktione­n wie Arzneien wieder mehr selbst in Europa herzustell­en, um Abhängigke­iten zu reduzieren. Das passiert noch zu wenig.

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IV/JULIAN TATZL Einstimmig zum neuen Präsidente­n der steirische­n Industriel­lenvereini­gung gewählt: Kurt Maier

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