Das Theater um die Leitkultur
„Vieles, was Österreich angeblich besonders auszeichnet, ist mir zutiefst unsympathisch.“
Seit Karl Nehammer eine Debatte über das Thema vom Zaun gebrochen hat, wird ein Theater um österreichische Leitkultur und Identität gemacht. Die einen erhoffen sich davon eine Stärkung des nationalen Gemeinschaftsgefühls, die anderen befürchten eine chauvinistische Stigmatisierung nonkonformer Menschen.
Wie sieht es mit mir aus? Ich bin in Österreich geboren, besitze einen österreichischen Pass und spreche Hochdeutsch mit österreichischem Einschlag. Was aber gibt es darüber hinaus? Ich trete für Menschenrechte ein, für Gleichheit und Gemeinwohl, für Umweltschutz und Mitgefühl mit Tieren. Doch das könnte ich auch als Schweizer, Engländer oder Japaner. Vieles jedoch, was Österreich angeblich besonders auszeichnet, ist mir zutiefst unsympathisch: Heimatidylle und Trachtengewand, Titelsucht und hierarchisches Denken, Provinzialismus und Parteibuchwirtschaft, österliche Fleischweihen und Hubertusmessen. Hinzu kommt, dass ich zwischen 1982 und 1992 im Ruhrgebiet gelebt habe. Könnte es also sein, dass ich gar kein echter Österreicher bin? Hier ist Vorsicht geboten: Gerade ein langer Auslandsaufenthalt ist geeignet, sich der eigenen Herkunft bewusst zu werden. 1985 wurde im Schauspielhaus Bochum Thomas Bernhards
Stück „Der Theatermacher“aufgeführt. Als sich der Theatermacher Bruscon in eine Schimpftirade gegen Österreich hineinsteigerte und sie mit der Feststellung „Dieses Land ist das Papier nicht wert, auf dem seine Prospekte gedruckt sind“abschloss, herrschte im Zuschauerraum betretenes Schweigen. Mit einer Ausnahme: Irgendjemand lachte befreit auf. Das war ich.
Bernhards Übertreibungskunst schnürte mir den Hals zu und amüsierte mich. Sie ist auch heute noch ein wunderbares Mittel, um der Wirklichkeit dieses Landes gerecht zu werden. Sie stiftet österreichische Identität.
Kurt Remele ist Theologe und Ethiker in Graz.