Soll die Strafmündigkeit in Österreich gesenkt werden?
JA Die Vorbereitung auf Konsequenzen eines strafrechtlich relevanten Verhaltens muss heute früher erfolgen. Nach einem Fall monatelangen Missbrauchs einer Zwölfjährigen wird über eine Verschärfung des Jugendstrafrechts diskutiert. Sollen schon unter 14-J
Die aktuelle politische Diskussion um die Herabsetzung der Altersgrenze in Bezug auf die Deliktsfähigkeit hat, insbesondere in Hinblick auf die jüngsten Vorfälle im Zusammenhang mit sexuellem Missbrauch bzw. Vergewaltigung durch Minderjährige, durchaus Berechtigung.
Die Altersgrenze der Deliktsfähigkeit ist in Österreich seit Jahrzehnten mit 14 Jahren unverändert, sehr wohl verändert hat sich aber die Gesellschaft (Migration), die Entwicklung junger Menschen und deren geistige Reife, sodass diese heutzutage nicht mit jenen von vor 20 oder 30 Jahren zu vergleichen sind.
Kinder und Jugendliche sind, auch aufgrund des nahezu uneingeschränkten Zuganges zum Internet, insbesondere zu sozialen Medien, viel früher und vor allem ungefiltert mit Themen wie Sexualität, Gewalt, Suchtmittel etc. konfrontiert.
Dazu kommt, dass sich auch die Kommunikation durch die zahlreichen Social-Media-Kanäle maßgebend verändert hat, wodurch natürlich auch die Hemmschwelle im Umgang mit anderen Menschen gesunken ist und die Begehung von Delikten steigt.
Selbstverständlich wäre es falsch, aufgrund der jüngst aufgetretenen Sexual- und Gewaltdelikte, welche teilweise von 12Jährigen begangen wurden, alle jungen Menschen über einen Kamm zu scheren, da derartige Tatbegehungen zum Glück noch immer die Ausnahme sind. Im Rahmen meiner beruflichen Tätigkeit fällt mir aber auch immer wieder auf, dass weitverbreitet die Meinung herrscht: „Unter 14 Jahren passiert mir nichts.“
In Zusammenschau dieser Umstände ist es auch Aufgabe des Staates, auf die geänderte Situation und die gesellschaftliche Entwicklung einzugehen, was zwangsläufig auch eine Adaptierung des Strafrechtes mit sich bringen muss. Man darf die Diskussion über die Herabsetzung des Deliktsfähigkeitsalters und über Straftaten unter jungen Menschen aber nicht nur aus Sicht des Täters führen, selbstverständlich ist dabei auch die Sicht des Opfers miteinzubeziehen, welches im schlimmsten Fall ein Leben lang mit den Folgen der Tat zu kämpfen hat.
Natürlich ist eine strafrechtliche Verurteilung von jungen Menschen kein „Wundermittel“zur Bewusstseinsschaffung und sind auch Haftanstalten kein Ort, an welchen junge Menschen aufwachsen sollten.
So weit sollte es, auch bei Herabsetzung des Deliktsfähigkeitsalters, selbstverständlich nicht kommen, in Anbetracht der angesprochenen gesellschaftlichen Entwicklung wäre die Herabsetzung des Deliktsfähigkeitsalters aber durchaus geeignet, junge Menschen, die wie gesagt heute eine andere Reife und Einsicht aufweisen als zum Beispiel ich in meiner Kindheit, früher auf die Konsequenzen eines strafrechtlich relevanten Verhaltens vorzubereiten.
Wenn Kinder zu Opfern werden, lässt das niemanden kalt. Der dramatische Fall der vorgeworfenen mehrfachen Nötigung zu sexuellen Handlungen in Wien macht uns alle betroffen und wir suchen nach Maßnahmen, die solcherlei Straftaten zukünftig verhindern. Die Herabsetzung des Strafmündigkeitsalters ist allerdings kein taugliches Mittel. Wenn wir Kinder ins Gefängnis stecken, fördert das nicht ihre Entwicklung zu einem verantwortungsbewussten Erwachsenen, sondern sie geraten in ein Umfeld, wo auch Ältere einsitzen, die Gewalt als Mittel der Problemlösung ausgeübt haben. Von jenen lernen die Kinder.
Glücklicherweise täuscht der Eindruck, dass immer mehr Kinder und Jugendliche straffällig würden. Im Gegenteil, die Verurteilungen von 14- bis 18-Jährigen sind rückläufig, in den letzten zehn Jahren um etwa 20 Prozent gesunken. Im Jahr 2000 gab es noch 16 Verurteilungen wegen Vergewaltigung durch Jugendliche, in den Jahren 2020 und 2021 waren es jeweils acht Verurteilungen. Dennoch ist jeder Fall einer zu viel und die Initiative der Politik, Maßnahmen zu setzen, ist begrüßenswert. Was aber wären wirksame Maßnahmen? Es braucht mehr Sozialarbeit sowie Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen an Schulen, um mit Kindern an Themen wie Konfliktbewältigung, gewaltfreie Kommunikation, dem Umgang mit sozialen Medien und der auch schon für junge Kinder auf ihren Smartphones allgegenwärtigen Pornografie zu arbeiten. Die Lehrerinnen und Lehrer würden dadurch ebenso entlastet und unterstützt wie die Kinder und Eltern, die hier ein unkompliziert verfügbares Beratungsangebot in der krisenanfälligsten Zeit des Lebens, der Pubertät, vorfänden.
„Rap! Not Rape“zum Beispiel ist ein Programm der steirischen Frauenhäuser in Kooperation mit der Männerberatungsstelle, wo in Schulworkshops mit den Teilnehmenden das Thema Beziehungsgewalt anhand verschiedener Rap-Songs und deren Botschaften beleuchtet wird. Interaktiv wird mithilfe verschiedener Methoden, angepasst an die jeweiligen Altersgruppen, eine sensiblere Haltung für den gewaltfreien Umgang miteinander erarbeitet. Es braucht ausreichend Mittel und Handhabe für die Kinder- und Jugendhilfe, sodass bei überforderten, dysfunktionalen Familien, die Unterstützung vorerst ablehnen, dennoch zum Wohle der Kinder und Jugendlichen auch verbindliche Hilfsangebote installiert werden können. Nach den Jahren der Pandemie zeigt sich, dass jugendpsychiatrische Angebote unbedingt ausgebaut werden müssen. Die Aktion „Gesund aus der Krise“etwa wurde sehr gut angenommen und sollte beibehalten werden. All diese Maßnahmen wirken nachhaltig gewaltpräventiv, Haft kann immer nur das allerletzte Mittel sein und ist bei Kindern nicht angebracht.