Krone richten, weitermachen
Ursula von der Leyen will nun ein zweites Mal an die Spitze der EU-Kommission. Vor ihr: ein politisches Minenfeld.
Die gigantische Halle des Romexpo-Konferenzzentrums in Bukarest kann den alten Charme östlicher Bombastik nicht ablegen, aber das ist einkalkuliert. Mehr als 2000 Delegierte und Mitarbeiter der Europäischen Volkspartei aus 44 Ländern und 600 angemeldete Journalisten sollen ein Megaevent erleben, einen donnernden Startschuss, der in ganz Europa zu hören ist. „Krönungstag für Königin Ursula“, schreibt die Plattform Politico. Nicht alle hören aufmerksam zu, wenn auf der riesigen Bühne gesprochen wird, und es wird viel gesprochen. Die EVP stellt derzeit zwölf Staats- und Regierungschefs, auch dort, wo es nur für die Opposition gereicht hat, gibt man sich stark. Jeder kommt hier zu Wort.
Der EVP-Kongress diese Woche hätte ursprünglich in Wien stattfinden sollen, aber das ist eine andere Geschichte. Wichtig ist, dass die amtierende Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nun von der eigenen Parteienfamilie offiziell zur Spitzenkandidatin für die EUWahl gemacht wurde. Gegenkandidaten gibt es nicht, aber Kritik in den eigenen Reihen. Zuerst sorgte ausgerechnet die ÖVP für Aufsehen, weil sie demonstrativ das Parteiprogramm, monatelang im Vorfeld erarbeitet und abgestimmt, nicht mittragen will.
Dann gesellten sich zu den üblichen Kritikern, wie etwa dem früheren slowenischen Ministerpräsidenten Janez Janša, auch die französischen Abgeordneten der Republikaner, die offen erklärten, gegen von der Leyen zu stimmen. Am Ende geht es, wie berichtet, passabel aus. 81,8 Prozent sind nicht überwältigend, aber eine brauchbare Basis. Doch der Riss in den eigenen Reihen zeigt das interne Dilemma auf, das die Mitte-Parteien auch im Großen unter Druck setzt. Den
Franzosen innerhalb der Partei ist die amtierende Präsidentin „zu links“, den Euro-Grünen ist sie inzwischen zu weit nach rechts abgedriftet. Weitgehend unbestritten ist, dass Ursula von der Leyen ihr Amt mit größter Wirkmacht befüllt hat, von „Forbes“wurde sie mehrmals zur „mächtigsten Frau der Welt“gekürt. Pandemie, Wirtschaftsund
Energiekrise sowie die
Folgen des
Krieges – das alles hat die Europäische Union im Großen und Ganzen bisher bewältigt und das ist zu einem wesentlichen Teil von der Leyen zuzuschreiben. D och zuletzt wuchs die Kritik und mehrere Leitprojekte der EU kamen gehörig ins Schleudern. Die Pestizidverordnung schaffte es nicht durchs Parlament und wurde völlig gekippt, das Lieferkettengesetz hängt auf den letzten Metern in der Luft, die Bauernproteste nötigten die Kommission,
endlich über bürokratische Erleichterungen nachzudenken. Die EVP selbst machte der Präsidentin das Leben schwer, als sie entgegen aller vorangegangenen Einigungen plötzlich das Ende des Verbrennermotors nicht mehr wollte. Als von der Leyen darauf hinwies, dass in der Sache 2026 eine Evaluierungsrunde vorgesehen sei, werteten das alle gleich als „Umfaller“oder „Kehrtwende“– dabei war das immer so geplant und der Einsatz der umstrittenen E-Fuels ist im Paket bereits enthalten.
Und so klingt es mehrdeutig, wenn etwa Kanzler Karl Nehammer in Bukarest sagt: „Sie hat viele Lehren aus ihrer bisherigen Tätigkeit ziehen können.“Es scheint so, als hätte die Agenda von der Leyens beim politischen Mitbewerb mitunter mehr Gefallen gefunden als bei den eigenen Leuten. Nun will sie in den nächsten 90 Tagen tatsächlich so etwas wie einen „Wahlkampf“machen, was ihr bei ihrer ersten Nominierung erspart geblieben war.
Das „Spitzenkandidatensystem“an sich erweist sich hier als Chimäre: Die eigentliche Entscheidung treffen Staats- und Regierungschefs, das EU-Parlament stimmt dann ab. Und genau diese Konstellation macht alles besonders schwierig, denn die Kandidatin muss sich mit den Fraktionen zumindest so weit gut stellen, dass sie die Mehrheit bekommt. Schon weisen die Sozialdemokraten darauf hin: „Ignoriere uns – auf eigene Gefahr.“Die Frage ist, in welchem Ausmaß Zugeständnisse und Änderung der Prioritäten nötig sind. Bei ihrer ersten Bestellung gaben bloß neun Stimmen von 733 den Ausschlag, diesmal ist die Gemengelage völlig ungewiss. Sollte von der Leyen im Parlament durchfallen, wäre eine ernste Europakrise die Konsequenz. in Glück für die Kandidatin, dass es keine ebenbürtigen Gegner gibt. Die Sozialdemokraten haben mit Kommissar Nicolas Schmit einen engagierten, aber weitgehend unbekannten Mann für die Spitze gefunden, die Grünen agieren mit dem Duo Terry Reintke und Bas Eickhout, die Linken halten an Martin Schirdewan und der Aktivistin Carola Rackete fest. Die Liberalen wählen eine Dreierspitze erst am 20. März, die Rechten (die allerdings oft monieren, die Kommissionspräsidentin sei „nicht gewählt“) halten überhaupt nichts vom Kandidatenprinzip.
In der Amtszeit von der Leyens sind 230 Reisen in 60 Länder dokumentiert. Es werden nicht die letzten gewesen sein.
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