„Gibt es fünf Eingriffe, ist das schon peinlich“
Viktor Kassai, Technical Director der Schiedsrichter beim ÖFB, spricht über den VAR, den Entwicklungsprozess und mögliche Superstars. Er will niemanden in der Komfortzone sehen.
Alle Schiedsrichter, die den von Ihnen vorgegebenen Weg mitgehen wollen, bekommen eine Chance. Alle, die sich nicht damit identifizieren können, werden es in Zukunft schwer haben?
VIKTOR KASSAI: So extrem kann man es nicht sagen. Ich glaube aber, dass alle, die im Elitebereich arbeiten, unsere Rat- und Vorschläge akzeptieren und befolgen. Wir sind wie ein Betreuerstab für eine Mannschaft und die Schiedsrichter sind die Spieler. Wir können nur die Rahmenbedingungen zur Verfügung stellen. Aber wir wissen, wenn die Rahmenbedingungen nicht passen, können wir keine professionellen Leistungen erwarten. Schritt für Schritt wollen wir uns weiterentwickeln.
Wie viele Schiedsrichter mit professioneller Einstellung haben Sie in Österreich vorgefunden, als Sie Ihre Arbeit in Österreich begonnen haben. Und wie viele sind es jetzt, nach einem halben Jahr?
Ich bin nicht automatisch davon ausgegangen, dass es Schiedsrichter in Österreich mit schlechter Einstellung gibt. Aber ich kenne die Schiedsrichter-Kommissionen in Europa. Überall gibt es Schiedsrichter mit guter und mit schlechterer Einstellung. Wir müssen die professionelle Einstellung zeigen und leben, damit alle mitziehen. Es gibt immer Leute, die etwas bequem sind. Sie müssen ihre Komfortzone verlassen.
Die Fitness passt bei den Referees?
Wir haben bereits im Sommer die Level beim Fitnesstest erhöht. Es ist schwieriger als früher und bei den Assistenten schwieriger als bei der UEFA. Wir wollen alle aus der Komfortzone holen und jeden Einzelnen weiterentwickeln.
Wie gut funktioniert das schon?
Bei der Fitness müssen alle ein Minimalziel erfüllen. Wenn das nicht erreicht wird, ist es nicht genug für Träume. Aber wir merken, dass immer mehr Leute mehr als nur das Minimalziel leisten. Wenn wir nicht mehr verlangen, bleiben sie in der Komfortzone. Fitness ist nur ein Part. Es gibt auch Bereiche wie Regelkunde und VAR, in denen wir Schritt für Schritt weitergehen.
Wie wichtig ist das Zusammenspiel zwischen Schiedsrichter und dem VAR? Wieviel Harmonie braucht es?
Ich glaube, Harmonie ist kein gutes Wort. Sie müssen keine Freunde sein und die Familien müssen keinen gemeinsamen Ausflug machen. Sie müssen gut zusammenarbeiten. Die Kenntnis über das Regelwerk und die einheitliche Beurteilung sind das Wichtigste. Schiedsrichter und VAR arbeiten so lange getrennt, bis es eine Fehlentscheidung gibt. Das optimale Szenarium: Der Schiedsrichter macht ein perfektes Spiel ohne Fehler, dann brauchen wir keinen VAR.
Und wenn dem Schiedsrichter ein Fehler passiert?
Dann müssen sie einheitlich zusammenarbeiten, so wie wir es vorgegeben haben.
Nimmt der VAR dem Schiedsrichter die Chefrolle weg?
Der Schiedsrichter bleibt der Boss auf dem Spielfeld. Der VAR nimmt nichts von der Persönlichkeit des Referees. Ohne Fehler geht es nicht. Spieler machen Fehler, Trainer machen Fehler und Schiedsrichter auch. Der VAR ist der ehrlichste Weg, wie man eine Fehlentscheidung korrigieren kann. Wenn es in einem Spiel vier oder fünf Eingriffe gibt, ist das schon ein bisschen peinlich.
Ist ein guter Schiedsrichter auch ein guter VAR und umgekehrt? Oder sollte man diese Aufgaben in Zukunft trennen?
Ein Schiedsrichter auf dem Feld muss ein guter Kommunikator sein, Erfahrung haben und fit sein. Ein VAR braucht keine Fitness, aber er braucht eine gute Kommunikation. Der VAR ist ein Analytiker, aber er muss auch fühlen. Es kann nicht sein, dass er noch nie ein Spiel gepfiffen hat. Dann kann er sich nicht vorstellen, wie sich ein Spiel auf dem Feld anfühlt. Deshalb ist es wichtig, dass ein VAR ein ehemaliger Schiedsrichter ist.
Gibt es ein Kommunikationstraining für die Schiedsrichter bezüglich des Umgangs mit Spielern bzw. Trainern?
In einem Spiel gibt es viele Emo
tionen. Der Schiedsrichter muss die Emotionen verstehen, soll aber nicht alles tolerieren. Das ist eine Vorgabe der UEFA, die wir den Klubs weitergeleitet haben. Alle müssen verstehen, dass die Bundesliga das Schaufenster für Österreichs Fußball ist. Wir haben eine gewisse Vorbildfunktion und wir müssen das gute Image bewahren.
Sie sind ständig auf Achse und schauen sich sogar RegionalligaSpiele an. Suchen Sie Talente?
Wir wollen uns persönliche Eindrücke machen. Deshalb verbringe ich meine Wochenenden in den Stadien. In der Regionalliga pfeifen die talentierten Schiedsrichter, es ist eine Scoutingarbeit.
Hat Österreich genug Schiedsrichter-Nachwuchs?
Von Schiedsrichtern gibt es nie genug Nachwuchs. Zurzeit haben wir in Österreich 2500 Schiedsrichter, das ist eine schöne Nummer. Aber es wäre schön, wenn wir 3000 bis 4000 hätten. Dann wäre es einfacher, Talente zu finden. Unsere Arbeit in der Geschäftsstelle ist umfangreich und vielfältig.
Ist es Zufall, dass österreichische Referees wieder internationale Einsätze haben, seit Sie in Österreich Ihre Arbeit aufgenommen haben?
Es ist nicht so, dass wenn jemand kommt, ein Wunder passiert. Wir haben gute Kontakte zu FIFA und UEFA. Das Wichtigste ist die Leistung des
Schiedsrichters, und wenn dann auch die Organisation aus Österreich stimmt, ist es ein gutes Zusammenspiel. Vier Leute haben in der Europa League gepfiffen. Aber das stellt uns nicht zufrieden. Wir freuen uns darüber, wollen aber mehr.
Es gibt in einer Mannschaft Talente und manchmal auch einen Superstar. Hat Österreich einen Schiedsrichter mit Potenzial zum Superstar?
Derzeit haben wir einige Hoffnungsträger. Superstar kann jemand werden, wenn er zu einer WM eingeladen wird. Ciochirca, Gishamer, Weinberger und Ebner haben das Potenzial. Sie müssen aber international Leistungen bringen, dann wird man sehen. Ich bin glücklich, dass wir nicht nur einen Kandidaten haben. Einer von diesen oder vielleicht ein noch unbekanntes Talent kann ein Superstar sein in einigen Jahren.
Österreichs Schiedsrichterwesen hat man vor Ihrem Amtsantritt vor einem halben Jahr despektierlich als Bummelzug bezeichnen dürfen. Hat sich dieser mittlerweile in einen Schnellzug verwandelt?
So habe ich es noch nicht gesehen. Es ist ein Marathon. Wir brauchen eine gute Organisation. Es gibt aber immer neue Ideen und neue Innovationen, die wir einbauen können. Das ist ein fortlaufender Prozess. Wenn wir einen Superstar aus Österreich haben, dann will ich zwei. Ich will immer mehr, gebe mich nicht mit dem Erreichten zufrieden. Wir geben uns nicht mit 90 Prozent zufrieden. Wir stehen mitten im Prozess, daher kann ich nicht sagen, wie weit wir mit unserer Entwicklung sind. Wenn wir in fünf Jahren wieder reden, vielleicht sind wir etwas mehr zufrieden. Für eine richtig gute Schiedsrichterorganisation braucht man Zeit, das geht nicht in ein oder zwei Saisonen. Und ich gebe jeden Tag meinen Beitrag in diesem Prozess.
Braucht es in Österreich eigentlich Profi-Schiedsrichter?
Es braucht jedenfalls eine Verbesserung für die Schiedsrichter. Es ist nicht normal, dass Schiedsrichter acht Stunden pro Tag arbeiten und dann zum Training müssen. Sie brauchen eine bessere Infrastruktur, sie brauchen auch Ruhetage wie Sportler. Für eine Verbesserung brauchen wir die Zusammenarbeit zwischen ÖFB und Bundesliga.