Die Welt verändern, braucht Zeit
Die designierte grüne EU-Spitzenkandidatin Lena Schilling über den Unterschied zwischen Politik und Aktivismus.
Die Reaktionen grüner Politikerinnen auf Ihr Antreten waren überschwänglich. Wie waren die Reaktionen aus ihrem aktivistischen Umfeld?
Da ist auch nur positives Feedback gekommen. Für alle war klar, dass das nach fünf Jahren Protest auf der Straße ein logischer nächster Schritt ist.
Aber gerade die Grünen wurden von Klimaschützern – auch von Ihnen – kritisiert, zu viele Kompromisse einzugehen. Und jetzt wollen Sie für sie kandidieren. Kam das nicht als Vorwurf? Überraschenderweise gar nicht. Es gab ein paar, die gemeint haben: Wir hoffen, dass du deinen Idealen treu bleiben wirst. Aber das will ich ja auch!
Parteichef Werner Kogler hat bei Ihrer Präsentation gesagt: Grüne müssen radikal in den Zielen sein, aber realpolitisch Schritt für Schritt vorwärtskommen. Hat er recht?
Was wäre denn die Alternative? Es sein zu lassen, nur weil es realpolitisch länger dauert? Dann können wir uns die Pariser Klimaziele gleich auf den Bauch picken. Wir leben nun einmal in bestimmten gesellschaftlichen Verhältnissen. Daher muss man schauen, was machbar ist. Meine Aufgabe wird es sein, eine Mehrheit für den Klimaschutz zu gewinnen. Dann kann man auch eine andere Klimapolitik betreiben.
Die Grünen haben ihre Wurzeln in der aktivistischen Szene. Die Besetzung der Hainburger Au verhinderte damals den Bau des Donaukraftwerks. Seither wurden aber zehn Gaskraftwerke gebaut. Wie würden Sie diese Entscheidung heute treffen?
Ich glaube, dass die Entscheidung richtig war. Die Krisen haben miteinander zu tun. Einerseits schreitet die Klimakrise voran, andererseits bedeutet die Biodiversitätskrise das größte Artensterben seit den Dinosauriern. Jeden Tag sterben mehr als 130 Tier- und Pflanzenarten aus. Wenn Ökosysteme kollabieren, schlägt die Klimakrise noch viel härter zu. Das heißt, man muss Klima- und Naturschutz immer zusammen denken, auch wenn es Konflikte gibt.
Wie löst man diese Konflikte? Man muss abwägen. Die Wasserkraft schädigt Ökosysteme nachhaltig, die Windkraft nicht. Ja, es gibt das Problem des Vogelsterbens, aber ganz ehrlich: Eine freilaufende Katze tötet ähnlich viele Vögel. Man darf Windräder halt nicht in Gebieten stellen, wo Vögel brüten.
Sie haben ankündigt, Aktivistin bleiben zu wollen. Wie hält man als Aktivistin die Langsamkeit der Politik aus? Gerade in Brüssel mahlen die Mühlen sehr langsam. Ich bin Klimaaktivistin, ich will immer mehr, besseren und schnelleren Klimaschutz. Ich bin oft genug vor solchen Mühlen gestanden, nur eben von außen. Die Frage ist, ob man sie auch von außen beeinflussen kann oder nicht besser von innen. Ein Jahr auf einer Baustelle zu sitzen, um eine Straße zu verhindern (Wiener Stadtstraße, Anm.), ist auch ein sehr langsamer Weg. Die Welt lässt sich nicht in ein paar Tagen auf den Kopf stellen. Das ist auch gar nicht wünschenswert.
Das EU-Parlament ist ein Arbeitsparlament. Das heißt: viel verhandeln, Allianzen suchen, Kompromisse schließen. Besteht nicht die Gefahr, mit einem aktivistischen Ansatz hier oft allein zu bleiben?
Ich finde es wichtig, dass Menschen in Parlamente gehen, die für etwas stehen. Es geht für mich aber auch darum, draußen zu zeigen, was drinnen passiert. Und umgekehrt, von draußen ins Parlament zu tragen, was wir drinnen brauchen.
Was genau meinen Sie mit draußen?
Damit meine ich zivilgesellschaftliche Bewegungen wie Menschenrechts- und KlimaNGOs, denen oftmals die Brücke fehlt.
Die Welt lässt sich nicht in ein paar Tagen auf den Kopf stellen. Das ist auch gar nicht wünschenswert.
Lena Schilling
Ich werde mir Mühe geben, mein Leben so klimafreundlich wie möglich zu leben. Dass es nicht immer zu 100 Prozent geht, ist aber klar.
Werden Sie nach Brüssel ziehen oder pendeln?
Naja, Fliegen ist schwierig, für mich heißt es eher Zug fahren. Ich werde sicher sehr viel Zeit in Brüssel verbringen, habe allerdings auch vor, EU-Politik nach Österreich zu bringen. 80 Prozent der Gesetze, die für uns relevant sind, werden dort verhandelt.
Wollen Sie es ganz ohne Fliegen schaffen?
Das wird nicht gehen. Wie auch sonst, werde ich mir Mühe geben, mein Leben so klimafreundlich wie möglich zu leben. Dass es nicht immer zu 100 Prozent geht, ist aber klar.
Sie haben gesagt, Sie seien politisiert gewesen, bevor Sie sich auf Klimaschutz fokussierten. Was hat Sie politisiert?
Es war der Grundgedanke von Gerechtigkeit. Als Kinder werden uns Werte vermittelt: Achtet auf die Natur, seid gut zu Tieren, passt aufeinander auf, habt Respekt. Dann wächst man auf, und es wird immer klarer: Das, was uns beigebracht wurde, was uns zu guten Menschen macht, hat in dieser Welt eigentlich wenig Platz. Dieser Widerspruch war für mich entscheidend. Wie kann es sein, dass wir in unserer Gesellschaft Werte großschreiben, die wir gleichzeitig nicht einhalten?
Sie sind kein Parteimitglied der Grünen und wollen auch keines werden. Hatten Sie nie überlegt, sich einer Partei anzuschließen? Nachgedacht schon, aber ich bin früh in diesen Bewegungskontext gekommen. Es geht ja darum, politisch handlungsfähig zu sein und dazu hatte ich andere Wege als die einer Partei.
Gerechtigkeit klingt auch mehr nach SPÖ.
Da gab es andere Konfliktlinien mit der SPÖ. Und mit der Stadtstraße (Lobautunnel, Anm.) und den Klagsdrohungen hat sich das für mich endgültig erledigt.